Traeumer und Suender
ein Meister denkt, da sehen Sie, was für eine Akribie, was für ein Witz. Visuell kann man der Côte dâAzur ja nichts vorhalten, auÃer dass es jedes Jahr noch ein paar Botoxleichen mehr gibt und die Gattung der Playboys ausgestorben ist; mein Gott, das hätte ich auch nicht gedacht, dass ich Gunter Sachs mal vermissen würde mit seinen weiÃen Rollkragenpullovern, so Siebziger! Jetzt gibt es Scheichs, und alle scharwenzeln um diese Ãlmultis herum, schrecklich! Bald wird es vollklimatisierte Studios in Bahrein geben, damit diese Bande direkt am Set halbnackte Pseudogrimassierer durch blaugrüne Sensorräumehüpfen sieht, der Rest, Landschaft, Achsen, Licht, wird dann am Computer nachgezogen, in Megapixeln und 3-D. Der Triumph der täuschend echten Künstlichkeit wird die Leute im Kino krank machen. Das wird das Ende sein. Das ist schon das Ende.
Porno 3-D. Irgendwann schieÃt aus der Leinwand ein gewaltiger Spermastrahl und fegt alle Leute aus den Kinos.»
Seine Schleimhäute waren völlig ausgetrocknet. Der Interviewer versuchte die Kraft zu finden, sich aufzurichten, die Frage zu stellen, ob er kurz auf die Toilette gehen dürfe, und dann aufzustehen. Gedanklich ging er diese drei Abschnitte durch, nickte kurz, um mit dem alten Mann in Kontakt zu bleiben, damit der nicht dachte, es läge an ihm. Es musste doch der blöde Fisch gewesen sein. In Verbindung mit allem.
«Nein, in Cannes fährt man vorne auf, was man hat: Roter Teppich, Hummerbuffet, Champagnerlaune, und hinten, spätestens ab zehn, dreht sich alles um den Arsch.
Was hinten rauskommt, wer wie viel Millionen mehr in den Sand setzt am Set, als er angesagt hat, ob sie sich von dem und dem in ihrem Trailer wirklich hat vögeln lassen. Und dann kommen die Party und der Verbalsex. Die Franzosen sind besessen davon. Wenn man denen nach zehn Uhr zuhört, hat man den Eindruck, sie hätten jede Menge davon. Oral hier, anal da. Achten Sie mal darauf!
Enculer
, das ist das Wort. Da können sie noch so elegant im Smoking und in der Abendrobe dastehen, die Kristallgläser mit drei Fingern am Stil, Balanceakrobaten des Parketts â Arschficker sind das, oder zumindest besessen davon. Ach ja, ich rege mich wieder auf.»
Der alte Mann fing furchtbar an zu husten, als habe er sich an seinen eigenen Worten verschluckt. Der Interviewer sprang zitternd auf, er spürte, wie die Hose kurz am Couchbezug klebte, und war dann aber in zwei Schritten am Rollstuhl. Es war gut, etwas zu tun.
«Danke, klopfen Sie kurz, danke. Dieser Husten ist fürchterlich. Können Sie Ralph noch mal rufen? Die Klingel funktioniert hier nicht. Danke. Ich brauche jetzt Medizin.»
Der Interviewer trat aus dem Wohnzimmer ins Arbeitszimmer der Suite, wo die Sekretärin zwischen zwei Laptops saà und immer noch, oder schon wieder, telefonierte. Auf Russisch, er war sich jetzt sicher. Er erklärte ihr, dass der Produzent einen Hustenanfall gehabt habe. «Schlimm?», fragte sie; «sehr schlimm», sagte er, und jetzt bräuchte er seine Medizin, ob sie wisse, wo Ralph sei. Sie würde sich kümmern. Er ging durch den Gang zurück ins Wohnzimmer und schloss die Tür. Wahrscheinlich hatte das Husten die empfindlichen Mikrofone völlig übersteuert.
Der alte Mann wirkte jetzt ruhiger; er sah fast verträumt auf die in der leichten Seebrise wehenden durchsichtigen Vorhänge an der Balkontür. «Es kommt gleich jemand.» Er selbst könnte auch Hilfe gebrauchen. Er kniff sich wieder in den Arm, um sich von dem Feuer in seinem Bauch abzulenken.
«Lars war wie ein Sohn für mich. Ein etwas missratener Sohn, aber die sind einem ja immer die liebsten. Und wenn die dann flügge werden â ach, aber eigentlich ist er das ja nicht, verspritzt weiter sein Adoleszenzgift, tätowiert sich sein
Fuck you
auf die Fäuste, grinst in die Kameras und wird fetter und fetter. Haben sie das Bild neulich gesehen? Lagerfeld hat schon recht. Wenigstens
etwas
Selbstdisziplin.Ich wundere mich, dass Regisseure sich daran nie halten. Die letzte Männerdomäne mit ihren Penissen auf Rollen und Schultern und an Kränen, das ganze Set eingesaut mit den Verlängerungen ihrer Fantasie. Gut, es gab Bigelow, der Oscar für
Hurtlocker,
aber der war unverdient, typischer Kompromiss, ein ordentlicher Film, aber nichts Besonderes. Versuch mit Weiberbonus. Und natürlich gibt es die Coppola, die ist
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