Traeumer und Suender
wenn Sie sie erst anmachen und dann vor ihr �»
Der alte Mann sah ihn interessiert an, so, wie man ein kleines Tier ansehen würde, das man plötzlich, fast ohne Absicht, in die Ecke seiner Wohnung gedrängt hatte.
«Ich bin â¦Â», begann der Interviewer.
«Nein, Sie brauchen mir keine Auskunft geben!»
Es blitzte spöttisch in den Augen des Alten auf, als der Interviewer seinen Satz trotzdem beendete: «⦠Single.»
«Ach, Sie sind Single?
A single man
! Das ist ja interessant. Können wir? Läuft ihr Ding schon? Die ganze Zeit? Na, das schneiden Sie aber raus! Das war
off the record
, mein Lieber. Sieht ja wirklich toll aus, dieses Gerät, so ein futuristisches Design.»
Der Interviewer war froh über den Themenwechsel, er verdrängte den kurz aufblitzenden Gedanken an Melanie, bei der er sich seit Wochen kaum noch gemeldet hatte, obwohl sie ihn nach ihrem Auszug, Rausschmiss traf es eher, vor zwei Monaten fast täglich um eine Aussprache bat. Sie hätten doch etwas GroÃes gehabt. Etwas GroÃes! Ja, aber die Kleinigkeiten stimmten eben nicht. Die Döschen, Kämme, Bürsten, Bänder, der ganze Schmuck, der ihn und sein Aftershaveallmählich erst an den Rand seines Bads und dann durch ihre Gegenwart in jedem Detail, ein Kissen hier, eine Fotografie von ihrem Ausflug nach London da, vom Gefühl her aus seiner eigenen Wohnung gedrängt hatten. Das hatte er einfach nicht ausgehalten. Diese emotionale Ãbernahme. Er spürte ein leises Magengrummeln. Und jetzt ⦠Der alte Mann schien das Aufnahmegerät zum ersten Mal richtig zu betrachten. Er war von der Balkontür an den niedrigen Couchtisch gerollt. Seine Bewegungen, das fiel dem Interviewer sofort auf, waren kräftiger als beim letzten Mal in seiner Wohnung, vielleicht machte das die Wut, diese Sache mit von Trier musste ihm wirklich nahegehen. Er schien auch zugenommen zu haben, der Anzug saà zwar immer noch locker, aber im Gesicht sah man die Knochen nicht mehr so spitz durch die Haut stechen. Beim letzten Mal hatte der Interviewer immer, wenn er dem Produzenten direkt ins Gesicht blickte, das Gefühl gehabt, er befände sich mit einem der apokalyptischen Reiter im Raum, mochten die Bewegungen des alten Mannes auch noch so reduziert gewesen sein. Jetzt sah er den Reiter nur noch als Doppelbild durchschimmern, wenn er die Augen zusammenkniff. Wut macht zumindest lebendig. Er betrachtete wieder die deutlich sichtbaren Adern. Oder war es nicht vielmehr Zorn? Sagte man nicht so: ein zorniger alter Mann. Wut hatte etwas Jugendliches.
Sein Handyton unterbrach ihn, ein lauter werdendes Zirpen, wie von Zikaden. Seine Mutter. Er entschuldigte sich bei Erlenberg. Dass er vergessen hatte, das verdammte Ding abzustellen, ärgerte ihn, er stand rasch auf und bewegte sich auf die andere Seite des Zimmers. «Nein, Junge», schwallte es ihm entgegen, «du bist bei den Festspielen! Davon haben wir immer geträumt, dein Vater wäre so stolz auf dich gewesen.» Er unterbrach sie: «Jetzt nicht, ich bin mitten in einem Interview, ich ruf dich morgen zurück, ja?»
Dann brach er das Gespräch ab, stellte auf stumm und setzte sich, eine weitere Entschuldigung murmelnd, wieder hin.
«Also lassen Sie uns weitermachen. Sie hatten mich am Telefon vor einer Woche ja gefragt, was ich denn vom Kino halte, wo es doch so ein Konsummedium geworden ist. Ich will Ihnen gerne antworten. Also, meine Liebe zum Film ⦠Nein, ich muss anders anfangen. Kennen Sie Dario Argento? B-Filmer haben oft die wirklich guten Ideen. In
Opera
gibt es diese berühmte Szene, da sitzt ein Mädchen gefesselt auf einem Stuhl, ihr Kopf ist fixiert, sodass sie nicht wegschauen kann. Mit Klebeband sind Stecknadeln unter ihre Augen geklebt, blinzeln oder Augen zu und durch, das ist nicht möglich. Und dann beginnt der Mörder vor ihr seine kleinen Blutkammerspiele zu inszenieren.»
Der Interviewer zuckte leicht zusammen. Worauf wollte der alte Mann hinaus?
«Ihr Freund, eine Freundin, eine Angestellte der Oper werden vor ihren Augen erst abgestochen, dann präpariert. Das ist Gewalt! Eine Schere und dann das knirschende Geräusch eines Brustkorbs. Immer wieder Schnitt auf sie: den Mund verklebt und die Augen schreckensweit aufgerissen, die Stecknadelspitzen ein bisschen blutig von Momenten, in denen sich ihr unterdrücktes Schreien doch unwillkürlich in ein Zucken ihrer Lider
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