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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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Marketing gemacht. Für
Melancholia
.»
    Â«Entschuldigen Sie, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, jetzt nicht zu rauchen? Das macht mich nervös.»
    Die Stimme des alten Mannes hatte plötzlich eine Kälte und eine Schärfe angenommen, die den Interviewer verstummen ließen.
    Â«Wenn Ralph gleich wiederkommt, dann öffnet er die Fenster und schiebt mich ein wenig von Ihnen fort, dann geht es vielleicht. Nein, wirklich, ich kann das heute einfach nicht.»
    Der Produzent strich sich mit der Hand über den Kopf. Er hatte vor seiner Krankheit noch Haare gehabt – ziemlich viele, eine richtige silbergraue Löwenmähne, wie der Interviewer sich erinnerte –, jetzt nahm er den Ausdruck eines Mannes an, den es immer noch überraschte, dass dort nun ein kahler, fleckiger Schädel war. Seine Stimme wurde wieder sanfter. Er seufzte.
    Â«Woher wissen Sie das eigentlich schon wieder? Ja, wir waren uns mit Lars prinzipiell einig, dass er uns das machen lässt, die Vermarktung von
Melancholia
. Wir haben auch einiges Geld in die Produktion gesteckt. Sie sind gut informiert. Wegen uns hat der die Fördergelder beim Bund auch bekommen. Und jetzt das! Dieser Idiot. Hitler verstehen! Da hat keine Kampagne mehr Sinn. Das kann ich nicht machen; ich hoffe, der Film holt wenigstens noch das raus, was wir reingesteckt haben, Kosten decken, Scheck einlösen und raus hier – mit dem mach ich nie wieder was.»
    Der Interviewer nahm sich vor, sich den Film gleich nach dem Interview anzusehen, wenn der noch irgendwo lief, sonst würde er sich über die Sekretärin des alten Mannes in München einen Vorführtermin geben lassen. Er hatte plötzlich eine Idee. Er könnte irgendwann auch von Trier interviewen, möglicherweise diese Vater-Sohn-Story ausarbeiten, eine Art Schlagabtausch der Meinungen; das war vielleicht etwas, nicht sofort, aber … Er würde sich gleich Gedanken darüber machen, bevor er flog, hier war ja noch mehr drin, viel mehr, als er dachte! Er wollte gerade noch eine Frage über das Verhältnis der beiden anbringen, wie der alte Mann von Trier kennengelernt hatte, wo, wie oft sie sich vor dieser Katastrophe sahen, ob sie viel miteinander besprochen hätten, Dinge, die man erzählen, auf denenman eine Geschichte hätte aufbauen können. Aber durch den alten Mann schien plötzlich ein Ruck zu gehen.
    Â«Wo waren wir stehen geblieben?
Gleiwitz
. Ja. Danke, ich soll mich nicht aufregen, hat der Arzt gesagt, aber der war auch noch nie in Cannes oder hat mit solchen Idioten gearbeitet wie dem von Trier. Der soll bloß warten, bis unser Film rauskommt, dann kriegt der seine Portion Hitlerverständnis. Affen, alles Affen, und keiner sagt wirklich was, stürzen sich nur so auf die eine Floskel, hat der Trier ja schon immer gemacht,
everybody’s darling
, immer schön provozieren, und Cannes hält ihm das Händchen. Aber das ist nun vorbei, jetzt hat er überdreht. Ich denke, man deckt ihn jetzt nicht mehr, die Tage der Samthandschuhe sind endgültig vorbei. Könnten Sie bitte die Vorhänge etwas weiter zuziehen?»
    Der Interviewer stand auf.
    Â«Danke. Wie das Licht heute schmerzt. Das ist doch der eigentliche Schock von Cannes, Sie verbringen Stunde um Stunde in diesen parfümierten Plüschkinos, starren im Dunkeln die Leinwand an, auf der verzweifelten Suche nach ein paar visuellen Ergüssen, die Sie nicht schon hundert Mal gesehen haben, eine Frau wandert mit zwei identisch aussehenden Männern durch einen Wald in Japan, es wird nicht gesprochen, wahrscheinlich gibt es auch nichts, was man noch irgendwie bereden müsste, Schnitt, eine blutige Badewanne mit einer Leiche, keine Aufklärung, Abspann, als ob so die Welt funktioniert. Das wurde in der Jury auch noch ernsthaft für den Hauptpreis diskutiert!
Hanezu no Tsuki.
Konnte mir auch keiner erklären, was das denn eigentlich heißt. ‹Eine Art Rot.› Man geht raus, und dann knallt einem die Sonne an der Croisette direkt in dieBirne, die meisten schlucken ein paar Gläser Schampus, und jeder zieht jeden mit Blicken über dem roten Teppich aus. Bussi hier, Tätscheln da. Billiger Hormonstau. Wedeln mit Dödeln. Nächster Film, nächste Nachthöhle. Nächster Pseudoorgasmus. Es wird jedes Jahr schlimmer. Kein Respekt mehr vor dem Publikum. Reines, selbstgefälliges Masturbieren. Was würde ihre Partnerin dazu sagen,

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