Traeumer und Suender
Casting waren, Produzenten, die nicht eingestiegen sind â innerindustrielles Rumoren â, das ist wichtig. Die Buschtrommeln schlagen. Da sollen einige Leute Bauchschmerzen bekommen, dass da etwas GroÃes auf sie zukommt, der Renner, der neue
Saw
, die neue
Titanic
, ein Splatterfest für die Gemeinde der Selbstzerfleischer. Oder ein Koser und Schmeichler für die romantische Gänsehaut, Low Budget oder Blockbuster, Hauptsache ein Streifen, der das Eröffnungswochenende abräumt, sodass die Kinos den Film jede Stunde in zwei, drei Theatern parallel laufen lassen! Sie glauben es vielleicht nicht, aber da steckt viel Arbeit dahinter. Das sind Botschaften für die Eingeweidewühler, die Hollywoodorakel, die Regenbogenjournalisten, die so was aufschnappen und dann, wenn man Glück hat, liest man das in Blogs und auf den bunten Seiten der Magazine. Gerüchteküche. Und dann geht es los.»
Der Interviewer zog ein Päckchen Camel aus seiner Jacketttasche und hob es fragend in das Sichtfeld des alten Mannes. Sie beobachteten einander noch, wie zwei Raubtiere, er, der katzenhafte kleine Luchs, und der alte Mann da vor ihm im Rollstuhl, dem er immer noch nicht traute, einer, der das Warten gewohnt war, die Reglosigkeit, eine Position, wo er, nur immer wieder die Zunge bewegend, wartete, bis er eine Stelle gefunden hatte, an der er zuschlagen würde, plötzlich nach vorne schnellend. Ein zügelloser, kalter Waran. Er merkte, wie es ihm bei diesem Gedanken merkwürdig warm wurde im Rückgrat.
«Nein, es stört mich nicht, wenn Sie rauchen, ganz im Gegenteil, ich rieche das gern. Ich darf ja leider nicht mehr. Wie man an die richtige Story kommt? Ahhh. Was meinen Sie, wie viele Bücher eingekauft werden, nicht nur Romane. Ich erinnere mich noch, vor ein paar Jahren gab es da eine Biografie: Eine britische Entwicklungshelferin verliebt sich in einen Guerillaführer im Sudan, wirklich, eine authentische Story. Sie setzt sich für Kinder ein, nutzt ihre Macht, um das ganze Fass aufzumachen, legt sich mit allen an, auch mit der UN, die sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einmischen will, in der auch religiöse Konflikte und im Hintergrund die Ãlgesellschaften ihre schmierige Rolle spielen. Sie wird schlieÃlich ermordet.
Nicole Kidman wollte diese Frau unbedingt spielen, ihr Agent hat mich sofort angerufen, als das Buch bei ihm auf dem Tisch lag. Ein Film mit humanitärer Botschaft, politischer Aussage, Stammesfehden, wir haben da zu lange weggesehen, diese ganze SudanscheiÃe, das hatte groÃes Potenzial. Für den Vermarkter ein Traum. Weibliche Emanzipation trifft Afrika, es geht um das Gute, es geht um Liebe, um das Retten von Kindern, ja, und um das Versprechenvon ungezügelter Leidenschaft im Angesicht des Todes. Danke, es geht schon, ich habe mich nur verschluckt. Dieser Husten ist hartnäckig. Ein, zwei Züge aus dem Inhalator, gleich vorbei.»
Der Interviewer stand kurz auf, um den Aschenbecher mit der rasch wieder ausgedrückten Zigarette auf den groÃen Palisandertisch am Eingang zu stellen. Er würde dem alten Mann Zeit geben müssen. Der Interviewer fühlte kurz einen Stich, als er sich erinnerte, dass weder die Sekretärin in München noch, augenscheinlich, der alte Mann gewusst hatten, wer er war. Doch er schluckte diesen Gedanken herunter. Zeit war der Schlüssel. Diese Leute waren komisch, man durfte ihnen nicht zu früh zu nah kommen wollen. Allerdings â er fuhr sich kurz mit dem Finger unter den Kragen seines Hemdes und wischte den Schweià fort â fühlte er sich so, als würde er noch immer am Fuà der Treppe vor dem alten Haus am Marktplatz von Sperlonga stehen, im Taxi auf dem Weg hierher sitzen, in der Bahn, auf dem Termini vor dem morgendlichen Cappuccino, in der Bahn von Fiumicino, wirklich erst in der Ankunftshalle vom Flughafen, wo nicht der versprochene Fahrer auf ihn gewartet hatte, sondern eine Alitalia-Mitarbeiterin, die ihm einen Umschlag übergeben hatte, mit der bedauerlichen Auskunft, er müsse sich leider doch selbst um die restliche Anreise kümmern. Abgründe. Für einen Moment war er unsicher, ob er nicht doch zuerst hätte fragen sollen, was für eine Krankheit Erlenberg habe. Aber die Gelegenheit war vorbei. Vor zwanzig Minuten hätte er sie vielleicht noch gehabt. Hatte der alte Mann nicht gerade von «Timing»
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