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Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)

Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)

Titel: Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Potter
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Streifen hinein und beleuchtet die Staubpartikel, die wie Flitter in einer Schneekugel herumstieben. Ich platze fast vor Aufregung und Vorfreude. Artsy ist ein angesagtes neues Talent, ein Graffitikünstler, bekannt für seine ironischen Zitate und ins Gegenteil verkehrten Bilder, und ich betrete gerade sein innerstes Heiligtum, dort, wo er arbeitet, wo er kreativ ist, wo er »zaubert«. Ich komme mir vor wie ein Entdecker, der gerade dabei ist, eine ganz neue Welt zu betreten.
    Stattdessen betrete ich allerdings erst mal einen Raum mit einer gigantischen Wäscheleine. Die ist über die gesamte Länge der Scheune gespannt und mit Dutzenden weißer Laken behängt, jedes davon mit Grafiken und Slogans in Schablonentechnik bedruckt. Auf einem ist ein riesiges Herz in sämtlichen anatomischen Einzelheiten zu sehen, und quer darüber ist der Spruch »Leben ist Liebe« gesprüht. Auf einem anderen Bild sind die Umrisse von Händen zu erkennen, darunter steht: »Es ist kompliziert«. Eine andere Arbeit ist nur ein weißes Laken, und genau in der Mitte, so winzig, dass man ganz nahe davorstehen und die Augen zusammenkneifen und ganz genau hinschauen muss, steht das Wörtchen »Warum?«.
    »Wow, die sind ja …«
    »Anders?«, vollendet er meinen Satz.
    »Sehr.« Ich nicke. »Verraten Sie mir, warum Sie Bettlaken als Medium nehmen?«
    Worauf ich eine lange, gewundene Antwort erwarte, aber stattdessen zuckt er nur mit den Achseln. »Haben Sie eine Ahnung, was Leinwände in der Größe kosten?« Er verzieht das Gesicht. »Totale Abzocke!«
    Ich muss lächeln über seine ehrliche Antwort. Artsy wird mir immer sympathischer. Genauso wie seine Arbeiten ist er definitiv anders.
    »Laken sind prima, aber ich benutze auch andere Sachen …« Womit er weiter in die Scheune hineinspaziert, an aufgestapelten Farbeimern, Pinseln und Spraydosen vorbei zu einer weiteren Wäscheleine. An der hängen Hemden, Hosen, Socken und Unterwäsche – allesamt schmutzig und mit Slogans und Wörtern bepinselt.
    »Das ist so eine Art Metapher fürs Schmutzige – Wäsche-Waschen in der Öffentlichkeit«, erklärt er. »Wobei ich meine schmutzige Wäsche ja eben nicht gewaschen habe.« Und dann beugt er sich vor und schnüffelt an einer Socke. »Puuuuh.«
    »Und warum die vielen Regenschirme?«, frage ich belustigt und weise auf eine andere Wäscheleine, an der eine ganze Reihe Schirme hängt, mit verschiedenen Graffiti besprüht.
    »Na ja, die geben prima Leinwände ab, und außerdem habe ich mir gedacht, die sind eine klasse Anspielung auf das traurige Schicksal des verlorenen Regenschirms.« Er zuckt die Achseln. »Die Leute verlieren doch dauernd ihre Regenschirme. Sie lassen sie in der U – Bahn liegen, im Café, in Bars. Aber wo landen die dann alle?« Worauf er mich fast flehentlich anschaut. »Vielleicht gibt es ja ein Paralleluniversum, wo sie alle in Singlebars auftauchen, andere alleinstehende Regenschirme kennenlernen und sich mit ihnen zu bunt zusammengewürfelten wasserabweisenden Paaren zusammentun …«
    »Möglich«, nicke ich. Der Kerl hat wirklich nicht alle Farben
im Malkasten, und trotzdem, er hat so eine kindliche Fantasie und Begeisterungsfähigkeit, die seltsam anziehend wirken. Wobei, sind exzentrische Menschen nicht immer irgendwie anziehend?Wie die verrückte Tante weit über achtzig, die Federboas trägt und Cancan tanzt. Wobei, nein, das ist bloß meine verrückte Tante.
    »Also, was meinen Sie?«
    Ich drehe mich wieder um und sehe, dass Artsy mich erwartungsvoll anschaut, mit gerunzelter Stirn, wie ein Kind, das sehnsüchtig auf ein Wort der Anerkennung wartet.
    »Ich meine, unsere Galerie würde Sie liebend gerne ausstellen«, sage ich ein klein wenig nervös. Schließlich hat er das sicher schon hunderttausend Mal gehört.
    Aber selbst wenn das der Fall sein sollte, so wirkt er doch hocherfreut. »Wirklich?«
    »Ja, wirklich«, entgegne ich nickend.
    »Hm.« Er grinst stillvergnügt in sich hinein und scheint sich die Idee durch den Kopf gehen zu lassen. Ich nehme an, dass er bestimmt etwas sagen wird, irgendwas , aber er zieht sich einfach die Fliegerbrille über die Augen und streckt mir die Hand hin. »Tja, ich muss wieder zurück zu meinen Kartoffeln.«
    Womit unser Treffen wohl beendet ist.
    »Ähm … ja, natürlich.« Ich lächele, um meine Enttäuschung zu überspielen, und gebe ihm die Hand. »Es war mir ein großes Vergnügen, Sie kennenzulernen, und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit

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