Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
mich zu einem ganz beiläufigen Tonfall.
»Ähm, ja … Nacht«, brummt er barsch.
Ich werfe einen Blick auf ihn, wie er da liegt. Die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen, balanciert er am Matratzenrand und läuft Gefahr, jeden Augenblick aus dem Bett zu fallen. Mit einem erleichterten Seufzen ziehe ich den Finger aus der Nase. Gott sei Dank. Einen grauenhaften Moment lang habe ich tatsächlich geglaubt, ich müsse meinen eigenen Popel essen.
Angeekelt knipse ich das Licht aus.
Das werden lange sechsunddreißig Stunden.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Als ich am nächsten Morgen aufwache, liege ich allein im Bett.
Er ist weg!
Für den Bruchteil einer Sekunde schießt mir pure Glückseligkeit durchs Herz. Kate, du Heldin! Ich bin gerettet! Der Plan ist aufgegangen! Überglücklich strecke ich mich aus wie ein Seestern und koste das herrliche Gefühl von Platz, Freiheit und Triumph aus.
Sein Koffer. Steht immer noch da. Dreck.
Die Enttäuschung trifft mich wie ein Schlag, und ich starre das Ding missmutig an, um mich dann schließlich aufzuraffen, die Bettdecke zurückzuschlagen und widerwillig aus dem Bett zu steigen. Na ja, wie er ja schon gesagt hat, ist ja bloß für zwei Tage. Und nicht für immer.
Hoffst du zumindest , tönt eine mahnende Stimme unheilkündend in meinem Kopf.
Ach, halt doch die Klappe.
Das Telefon klingelt und reißt mich aus meinen Gedanken. Schläfrig greife ich nach dem Hörer. »Hallo?«
Erst ist es still am anderen Ende der Leitung, dann sagt eine Frauenstimme spitz: »Oh, da bin ich wohl zum falschen Zimmer durchgestellt worden. Entschuldigen Sie bitte die Störung.«
»Keine Ursache.« Ich unterdrücke ein Gähnen. »Welches Zimmer wollten Sie denn?«
»Ähm …« Im Hintergrund ist Papiergeraschel zu hören. »Das müsste wohl das Muschelzimmer sein.«
»Dann sind Sie hier goldrichtig. Das ist das Muschelzimmer.«
»Oh …« Sie klingt etwas verdattert. »Ich suche einen Nathaniel Kennedy.«
»Sie meinen Nate? Der ist schon weg …« Auf einmal kommt mir ein Gedanke, und ich unterbreche mich. »Warten Sie mal. Vielleicht steht er noch unter der Dusche …« Ich lege den Hörer beiseite und hopse schnell aus dem Bett und drücke dann prüfend die Klinke der Badezimmertür runter, ob sie abgeschlossen ist. Ist sie nicht, und das Bad ist leer. »Nein, tut mir leid. Kann ich ihm vielleicht was ausrichten?«
Am anderen Ende der Leitung ist es still.
»Oder Sie könnten versuchen, ihn mobil zu erreichen. Haben Sie seine Nummer …? Hallo?«
Sie hat aufgelegt.Wie ärgerlich. Ich kann es nicht ausstehen, wenn Leute einfach auflegen. Das ist so was von unhöflich.
Einen Moment starre ich nur verdattert den Hörer an und ärgere mich, aber dann schiebe ich wild entschlossen alle unangenehmen Gedanken an Nate und seine unhöflichen Freunde beiseite, lege den Hörer auf die Gabel und flitze ins Badezimmer. Heute Vormittag ist mein großer Termin mit Artsy. Ich darf an nichts anderes denken, ermahne ich mich streng, während ich rasch dusche und mich fertig mache.
Mein Magen schlägt vor Nervosität einen Purzelbaum. Der Artikel, den ich im Flieger hierher gelesen habe, beschreibt ihn als »exzentrischen Eigenbrötler«, was ich, nachdem ich nun schon mit so einigen Künstlern zu tun hatte, als höfliche Umschreibung des Journalisten dafür deute, dass der Kerl schwierig, unfreundlich und vollkommen durchgeknallt ist.
Und den muss ich nun irgendwie um den Finger wickeln und ihn dazu überreden, in unserer Galerie auszustellen, überlege ich, während ich die Bemühungen aufgebe, meine Haare in eine halbwegs ansehnliche Form zu bringen, um dann nach draußen zum wartenden Taxi zu rennen. Angesichts der Tatsache, dass das bisher noch niemand geschafft hat, wird es
sicher nicht leicht.Womöglich ist es sogar gänzlich unmöglich, grübele ich und muss an Magda denken, die all ihre Hoffnungen in mich und dieses Treffen gesetzt hat.
Das Taxi rollt aus der Auffahrt, und während es die Küstenstraße entlang nach Aquinnah tuckert, dem entlegensten Ort der Insel, ganz an der südwestlichsten Spitze, merke ich, wie mir plötzlich ganz anders wird und mein angeborener manchestertypischer Pessimismus wieder die Oberhand gewinnt. In Gedanken male ich mir bereits ein grauselig misslungenes Treffen aus, bei dem alles schiefgeht, was schiefgehen kann. Und wie ich dann Magda meinen Misserfolg beichten, ihr mein Versagen eingestehen und ihr schonend beibringen muss, dass alles aus ist,
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