Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
stehen sah, schon dachte, er bilde sich das alles ein. Was ihm alles durch den Kopf ging, als er mich in den Kanal fallen sah. Alles sprudelte nur so aus ihm heraus.
Und irgendwann war ich dann an der Reihe. Ich hatte eine Menge zu erklären: warum ich mit Nate in Venedig war, warum wir zusammen auf Martha’s Vineyard gewesen waren und dass wir ganz bestimmt keine Affäre miteinander hatten. Ich musste einiges an Überzeugungsarbeit leisten.
Drei ganze Tage lang, in seinem Hotelzimmer in Venedig, um genau zu sein. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so viel Spaß machen kann, jemanden zu überzeugen.
Meine hohen Absätze rutschen auf dem vereisten Bürgersteig ab, und ich kann nur mit Mühe das Gleichgewicht halten. Das ist das Problem bei Stöckelschuhen, denke ich mit einem Blick auf meine brandneuen roten Satinstilettos, bei dem ich vor Besitzerstolz fast platze. Vollkommen unpraktisch, geradezu schwindelerregend hoch und absolut anbetungswürdig. Aber schließlich kann ich ja auch kaum in Gummistiefeln zu einer schicken Ausstellungseröffnung mit Werken eines weltberühmten Künstlers wie Artsy stapfen, oder?
»Luuutzi, da sind Sie ja!«
In der Galerie angekommen werde ich schon an der Tür vom Blitzlichtgewitter der Paparazzi empfangen, dicht gefolgt von Magda, von Kopf bis Fuß in Gucci gewandet und mit Valentino unter dem Arm.
»Entschuldigen Sie, dass ich zu spät komme«, keuche ich und umarme sie kurz.
Manches ändert sich eben nie.
Die Luft in der Galerie vibriert vor fieberhafter Erregung. Artsys allererste Ausstellung hat für erhebliches Aufsehen gesorgt, und wahre Menschenmassen, Dutzende von Journalisten sowie eine Handvoll Prominenter drängeln sich um seine
Arbeiten. Unsere Ausstellung ist derzeit das beherrschende Thema in der Kunstszene, und über mangelndes Interesse der Medien können wir uns wirklich nicht beklagen. Magda ist von der New York Times interviewt worden, und die Vogue hat ein Feature über die Galerie gebracht.
Auf Zehenspitzen stehend suche ich die Besuchermenge ab. Herrje, ist das etwa Madonna? Wie aufregend, denke ich, aber mein Blick wandert bereits weiter auf der Suche nach einer vertrauten Gestalt. Und dann sehe ich ihn. Er steht in einer Ecke und wartet auf mich.
Adam.
»Na, so was, du hier.« Lächelnd legt er den Arm um meine Taille und gibt mir einen Kuss.
Mein Herz macht einen kleinen freudigen Satz. »Und, wie findest du die Exponate?«
»Hmm, na ja, bei der schmutzigen Wäsche bin ich mir nicht so sicher …«, erklärt er mit einer Geste zu Artsys Wäscheleine, »… aber die da finde ich wirklich großartig«, meint er und geht zu einer Serie von Kohlezeichnungen an der Wand.
»Ehrlich?« Interessiert schaue ich ihn an. »Wieso das denn?«
»Wie die Gesichter der Menschen eingefangen wurden, der Ausdruck, ihre Gefühle, ihre Hoffnungen, das ist fantastisch.« Er weist auf eine große Zeichnung. Sie zeigt eine dösende Frau in einem Krankenhauswartezimmer, die einen Rosenkranz fest umschlossen in den auf dem Schoß gefalteten Händen hält. »Da ist eine ganze Geschichte, ein ganzes Leben, eingefangen in einem flüchtigen Augenblick mit ein paar Kohlestrichen.«
»Du scheinst dich mit Kunst ganz gut auszukennen«, meine ich mit einem anerkennenden Nicken und einem leichten Zucken um die Mundwinkel.
»Ich habe ja auch eine gute Lehrerin«, gibt er grinsend zurück und dreht sich wieder zu mir um. »Und außerdem kenne ich die Künstlerin persönlich.«
Ich könnte fast platzen vor Stolz und grinse übers ganze Gesicht wie ein Honigkuchenpferd. Denn diese Skizzen, die da an der Wand hängen, die sind von mir. Die heutige Vernissage ist nicht allein Artsy gewidmet, obwohl er natürlich die Hauptattraktion des Abends ist. Es ist auch die Gelegenheit, junge Talente vorzustellen. Junge Talente. Mein Herz macht einen kleinen Freudensprung, und ich muss mich fast selbst zwicken.
Eigentlich ist Adam an allem schuld. Er hat mich ermutigt, wieder als Künstlerin zu arbeiten, meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Als wir aus Venedig zurückkamen, hab ich wieder angefangen, ernsthaft zu zeichnen. Es war, als hätte ich nie aufgehört. Bald hatte ich meinen Skizzenblock überall dabei und ging abends und am Wochenende auf Erkundungszug durch die Stadt, fing Gesichter ein, Stimmungen, Augenblicke. Und dann, eines Tages, habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und Magda meine Skizzen gezeigt, die völlig aus dem Häuschen war, sie allesamt als
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