Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
unter uns auf, als ob ein metallenes Ungeheuer die Luft aus der Lunge ausgestoßen hätte, dann wurde es wieder hell, das Mädchen drückte die Tür auf.
    Es war wohl wirklich eine Straße. Wir waren hier ganz allein. Kleine, gestutzte Sträucher wuchsen auf beiden Gehsteigseiten; etwas weiter standen gedrängt schwarze, flache Maschinen. Irgendein Mensch kam aus dem Schatten, versteckte sich hinter einer von ihnen - ich sah ihn keine Tür öffnen, er verschwand einfach, doch die Maschine raste los mit einem derartigen Schwung, daß er wohl ganz flach auf dem Sitz liegen mußte. Ich sah keine
    Häuser, nur eine tischglatte Fahrbahn, die mit matten Metallstreifen bedeckt war; an den Kreuzungen bewegten sich ntzar-tige, orangene und rote Lichter, sie hingen über dem Pflaster und erinnerten ein wenig an die Modelle von Scheinwerfern aus der Kriegszeit.
    »Wo wollen wir uns nehmen?« fragte das Mädchen. Immer noch hielt sie meinen Arm. Sie verlangsamte ihre Schritte. Ein roter Lichtstreifen glitt über ihr Gesicht. »Wo du willst.«
    »Dann wollen wir zu mir gehen. Einen Glider zu nehmen, lohnt sich nicht. Es ist hier ganz in der Nähe.«
    Wir gingen weiter. Man sah auch weiterhin keine Häuser, und der Wind, der aus dem Dunkel hinter den Büschen kam, wehte so, als ob hier rundum ein freier Raum wäre. Um den Bahnhof herum, direkt im Zentrum? Dies schien mir eigenartig. Der Wind brachte einen schwachen Blumenduft mit sich, den ich gierig einsog. Flieder? Nein, Flieder war es nicht.
    Dann fanden wir einen gleitenden Gehsteig, wir standen darauf, ein komisches Paar, die Lichter flogen vorbei, manchmal ein Gefährt, wie aus einem Stück schwarzen Metalls gegossen: sie hatten keine Fenster, keine Räder, nicht einmal Lichter, doch sausten sie mit einer außergewöhnlichen Geschwindigkeit vorbei, wie blind. Die beweglichen Lichter schossen aus engen, vertikalen Spalten dicht über dem Boden. Ich konnte nicht feststellen, ob sie irgendwie mit dem Verkehr und seiner Regelung zusammenhingen.
    Durch den unsichtbaren Himmel zog von Zeit zu Zeit, hoch über uns, ein klagender Pfiff. Das Mädchen stieg plötzlich vom gleitenden Steg ab, nur um auf einen anderen umzusteigen, der steil nach oben lief. Plötzlich sah ich mich recht hoch stehen, die Luftfahrt dauerte vielleicht eine halbe Minute und endete auf einem Überhang voller schwach duftender Blumen, als wären wir nun auf der Terrasse oder dem Balkon eines dunklen Hauses angelangt. Das Mädchen ging in diese Loggia hinein. Ich, an die Dunkelheit bereits gewöhnt, riß mit den Augen eines Nachttiers die großen Silhouetten der nebenstehenden Häuser aus der Schwärze: sie waren fensterlos, tot. Nicht allein keine Lichter gab es; auch nicht der schwächste Ton gelangte von dort zu mir, außer dem scharfen Gezisch, das vom Vorbeifahren der schwarzen Ma -schinen durch diese Straße zeugte. Ich war über diese doch wohl
    absichtliche Verdunkelung erstaunt, auch über den Mangel an Reklameschildern nach der Neonorgie am Bahnhof.
    Doch blieb mir keine Zeit für Überlegungen. »Komm, wo bist du!?« hörte ich ein Flüstern. Ich sah nur den weißen Flecken ihres Gesichts. Sie legte ihre Hand an die Tür, die sich öffnete. Aber diese Tür führte nicht in die Wohnung, der Fußboden ging weich mit uns mit. - >Hier kann man ja keinen Schritt tun<, dachte ich, >komisch, daß sie eigentlich noch Beine haben.< Eine mißlungene Ironie, sie entstammte meiner nie endenden Verblüffung, dem Gefühl der Irrealität von allem, was mit mir seit vielen Stunden geschah.
    Wir befanden uns wie in einem großen Flur oder Korridor, der breit und fast dunkel war- nur die Wandecken, mit Streifen von Leuchtfarbe bestrichen, leuchteten. An der dunkelsten Stelle legte das Mädchen wieder ihre flach ausgestreckte Hand auf die kleine Metallplatte in der Tür und ging als erste hinein. Ich blinzelte: die recht stark beleuchtete Diele war fast leer. Sie ging zur nächsten Tür; als ich mich der Wand näherte, öffnete sich diese plötzlich und zeigte eine Vertiefung, die voll war von metallenen Fläschchen. Das kam so unerwartet, daß ich unwillkürlich zusammenzuckte.
    »Verängstige mir ja nicht meinen Schrank«, sagte sie, schon vom anderen Zimmer aus. Ich folgte ihr.
    Die Möbel schienen aus Kunststoff gegossen: kleine Sessel, ein niedriges Sofa, kleine Tischchen - in dem halbdurchsichtigen Material bewegten sich langsam ganze Schwärme von Glühwürmchen: manchmal verliefen sie sich, flossen dann wieder

Weitere Kostenlose Bücher