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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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mich.«
    »Bregg, heute hält keiner mehr als zwanzig aus!«
    »Warum - vielleicht wegen der Betrisierung?«
    Er schwieg. Ich hatte den Eindruck, daß er etwas wußte, was er mir nicht sagen wollte. Ich stand auf.
    »Bregg«, sagte er, »wenn wir schon davon sprechen: Geben Sie acht!«
    »Worauf?«
    »Auf sich selbst und die anderem Der Fortschritt kommt nie umsonst. Wir wurden Tausende von Gefahren und Konflikten los, aber man muß alles bezahlen. Die Gesellschaft wurde weich. Und Sie selbst sind - können - vielleicht.., hart sein. Verstehen Sie?«
    »Ich verstehe«, sagte ich und dachte an den Mann, der da im
    Restaurant lachte und still wurde, als ich näher kam.
    »Doktor«, sagte ich plötzlich, »ja… in der Nacht traf ich einen Löwen. Sogar zwei Löwen. Warum haben die mir nichts getan?«
    »Raubtiere gibt es keine mehr, Bregg… Die Betrisierung… haben Sie sie in der Nacht getroffen? Und was taten Sie da?«
    »Ich kraulte sie am Hals«, sagte ich und zeigte ihm, wie ich es getan hatte. »Aber der Vergleich mit der >Ilias<, Doktor, das ist doch eine Übertreibung. Ich hatte ganz schön Angst. Was bin ich Ihnen schuldig?«
    »Denken Sie nicht mehr daran. Und wenn Sie jemals wieder herkommen möchten…« »Danke.«
    »Warten Sie aber nicht allzu lange«, sagte er fast wie zu sich selbst, als ich schon hinausging. Erst auf der Treppe verstand ich, was es hieß: Er war fast neunzig Jahre alt.
    Ich ging in das Hotel zurück. In der Halle gab es einen Friseur. Natürlich ein Roboter: Ich ließ mir die Haare schneiden. Sie waren schon ziemlich lang geworden, besonders hinter den Ohren. Die Schläfen waren am meisten ergraut. Als er fertig war, hatte ich das Gefühl, weniger wild auszusehen. Er fragte mit einer melodiösen Stimme, ob er das Haar nachdunkeln solle.
    »Nein.«
    »Aprex?«
    »Was ist das?«
    »Gegen Runzeln.«
    Ich zögerte. Fühlte mich ungemein blöde, aber vielleicht hatte der Doktor doch recht.
    »Gut«, stimmte ich endlich zu. Er bedeckte mein ganzes Gesicht mit einer Schicht scharf riechenden Gelees, das zu einer Maske erstarrte. Ich lag unter den Tüchern, recht froh, daß mein Gesicht nun unsichtbar wurde.
    Dann fuhr ich nach oben. Im Zimmer lagen bereits die Päckchen mit der flüssigen Wäsche, ich zog meinen Anzug aus und ging ins Badezimmer. Da gab es einen Spiegel.
    Ja. Ich konnte wirklich erschrecken. Ich wußte nicht, daß ich wie ein Jahrmarktkämpfer aussah. Gezackte Brustmuskeln, der Körper, ich war überhaupt ganz und gar athletisch. Als ich den Arm hob und mein Brustmuskel anschwoll, sah ich darin eine handbreite Schramme. Ich wollte noch die andere Narbe unterm
    Schulterblatt sehen, für die ich Glückspilz genannt wurde; denn wäre damals ein Splitter nur drei Zentimeter mehr nach links gegangen, hätte er mir die Wirbelsäule zerschmettert. Ich schlug mit der Faust auf meinen brettartigen Bauch.
    »Du Rindvieh«, sagte ich zum Spiegelbild. Ich hatte Lust auf ein Bad, ein richtiges, nicht im Ozonwind, und war froh bei dem Gedanken an das Schwimmbecken, das es bei der Villa geben würde. Ich wollte etwas von den neuen Sachen anziehen, konnte mich aber irgendwie nicht von meiner alten Hose trennen. So zog ich nur die weiße Strickjacke an, obschon mir meine alte schwarze, an den Ellbogen schon ausgefranste, weit besser gefiel, und ging hinunter ins Restaurant.
    Die Hälfte der Tischchen war besetzt. Durch drei Säle hindurch gelangte ich auf die Terrasse: man sah von dort aus die großen Boulevards mit unendlichen Glider-Strömen; unter den Wolken, wie ein Bergmassiv, blau von der Luft, stand der Terminal-Bahnhof.
    Ich bestellte das Mittagessen.
    »Welches?« fragte der Roboter. Er wollte mir eine Karte bringen.
    »Egal«, sagte ich. »Ein normales Essen.«
    Erst als ich zu essen anfing, bemerkte ich, daß die Tischchen rundum leer waren. Ganz unwillkürlich suchte ich Einsamkeit.
    Ich wußte es nicht einmal. Ich wußte auch nicht, was ich da aß.
    Ich verlor das Gefühl der Sicherheit, daß das, was ich mir ausgedacht hatte, auch gut sei. Ferien - als ob ich mich selber belohnen möchte, weil kein anderer daran gedacht hat.
    Der Kellner trat lautlos näher. »Herr Bregg - ja?«
    »Ja.«
    »Sie haben einen Gast - auf Ihrem Zimmer.«
    Gleich dachte ich an Nais. Ich trank die dunkle, schäumende Flüssigkeit aus und stand auf, fühlte dabei im Rücken verschiedene Blicke, die mich verfolgten. Es wäre nicht übel, von der eigenen Körpergröße zehn Zentimeter abzusägen. In

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