Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
faßte die Frau an den Schultern, und ich dachte, er wäre verrückt geworden: offensichtlich versuchte er sie direkt in den dröhnenden Rachen zu stoßen. Die Frau sagte etwas zu ihm, ich sah die Empörung in ihren Augen aufleuchten. Ich legte ihnen beiden die Hände auf die Schultern, als Zeichen, daß
    sie mich durchlassen möchten, und kam auf den Steg. Der wippte und tanzte: ich ging nicht sehr schnell, fing mein Gleichgewicht mit den Schultern, einmal und noch ein zweites Mal schwankte ich etwas. Urplötzlich erzitterte der Steg derart, daß ich fast hinunterfiel. Das war die Frau, die, ohne mein Durchgehen abzuwarten, schon auf den Steg kam - aus Angst hinunterzufallen, sprang ich stark vornüber, landete an dem äußersten Felsenzipfel und drehte mich sogleich um.
    Die Frau kam nicht durch: sie ging zurück. Der junge Mann ging jetzt als erster, hielt sie an der Hand. Die unheimlichen Nebelgestalten, die vom Wasserfall geboren wurden, bildeten als weiße und schwarze Phantome den Hintergrund für ihr unsicheres Gehen. Er war schon dicht bei mir: ich reichte ihm die Hand - zugleich aber stolperte die Frau, der Steg erzitterte. Ich zog den Mann so, daß ich ihm viel eher den Arm ausgerissen, als ihn hinunterfallen gelassen hätte; durch den ungestümen Ruck flog er zwei Meter weit und landete hinter mir, auf den Knien - aber er hatte sie losgelassen.
    Sie befand sich noch in der Luft, als ich sprang, mit den Füßen nach vorn: ich zielte auf die Wellen seitlich zwischen dem Ufer und der Wand des nächsten Felsbrockens. Darüber nachgedacht habe ich erst später, als ich Zeit hatte. Im Grunde wußte ich, daß Wasserfall wie Flußfahrt nur Illusionen waren. Als Beweis hatte ich ja den Baumstamm, durch den meine Hand hindurchgegangen war. Trotzdem sprang ich, als könnte die Frau dort tatsächlich umkommen. Ich weiß sogar noch, daß ich rein instinktiv auf den eisigen Wasserstoß vorbereitet war, dessen Spritzer immerfort auf unsere Gesichter und Kleider fielen.
    Ich spürte nichts außer einem starken Luftstoß und landete in einem geräumigen Saal auf nur leicht eingeknickten Knien, als wäre ich höchstens aus einem Meter Höhe herabgesprungen. Ich hörte ein chorähnliches Gelächter.
    Ich stand auf einem weichen, plastartigen Boden, rundum gab es eine Menge Leute, manche hatten noch durchnäßte Kleider.
    Sie hatten die Köpfe erhoben und brüllten vor Lachen.
    Ich folgte ihnen mit dem Blick - und es war unheimlich.
    Keine Spur von Wasserfällen, Felsen, afrikanischem Himmel.
    Ich sah nur eine leuchtende Saaldecke und darunter - eine eben heranschwimmende Piroge, vielmehr eine Art Kulisse; denn an ein Boot erinnerte es nur von oben und von den Seiten - am Boden befand sich eine Metallkonstruktion. Flach lagen darin vier Menschen, um sie herum aber gab es nichts - weder Neger, noch Felsen, noch Fluß, von Mal zu Mal flogen nur, aus verdeckten Düsen geschossen, dünne Wasserstrahlen. Etwas weiter befand sich wie ein Sperrballon, durch nichts gestützt, der Felsenobelisk, auf dem unsere Reise geendet hatte. Von ihm führte ein Steg zu einer Steinstufe, die aus einer Metallwand herausragte. Etwas höher waren eine kleine Treppe mit Geländer und eine Tür. Das war alles. Die Piroge mit den Menschen schaukelte, kam hoch und ganz plötzlich wieder herunter, ohne das leiseste Geräusch, ich hörte nur die Heiterkeitsausbrüche, die die einzelnen Etappen der Wasserfallfahrt, die es überhaupt nicht gab, begleiteten. Nach einer Weile schlug die Piroge gegen den Felsen, die Menschen sprangen heraus, mußten über den Steg gehen.
    Seit meinem Sprung waren wohl zwanzig Sekunden vergangen. Ich suchte mit meinem Blick die Frau. Sie sah mich an. Ich hatte ein etwas flaues Gefühl. Wußte nicht recht, ob ich mich ihr nähern sollte. Die Anwesenden fingen gerade an wegzugehen, und im nächsten Moment standen wir beieinander.
    »Es ist immer dasselbe«, sagte sie dann, »immer falle ich da runter!«
    Die Nacht im Park, Feuerwerke und Musik schienen nicht ganz real. Wir gingen hinaus inmitten der noch immer aufgeregten Menge; ich sah den Begleiter der Frau, er schob sich zu ihr durch. Wieder war er schläfrig, wie schon vorher. Er schien mich überhaupt nicht zu bemerken.
    »Gehen wir zu Merlin«, sagte die Frau so laut, daß ich es hörte. Ich hatte nicht die Absicht hinzuhören. Aber eine neue Welle der Hinausgehenden brachte uns noch näher. So stand ich immer noch bei ihnen.
    » Es sieht wie eine Flucht aus«, sagte sie

Weitere Kostenlose Bücher