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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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sagte: »Wer war es denn? Was hat er denn auf dem Kerbholz?« – »Ein unangenehmer Bursche, ein rechter Imstichlasser.« – »Imstichlasser?« sagte Marie noch lächelnd. »Hat er dich im Stich gelassen? Dich nicht? Deinen Freund? Wen sonst?« Das Lächeln verging aus ihrem Gesicht, sie starrte mich an. »Was hast du? Was hast du nur? Wen hat er im Stich gelassen? Wo? Warum?« – »Hör endlich auf mit deinem Gefrage«, rief ich, »kannst du mir zuliebe nicht einmal von einem Café ins andere wechseln, ohne zehnmal warum zu fragen?«
    Sie senkte den Kopf und schwieg. Ich wartete beinah verzweifelt darauf, sie möchte wieder zu fragen beginnen, in mich dringen, mich quälen, die ganze Wahrheit endgültig aus mir herausfragen.
VII
    Ich ging in die Dames de Paris in Nadines Abteilung. Sie stutzte bei meinem Anblick. Die Aufseherin stand drei Schritte von uns entfernt. Nadine bat mich mit einer Handbewegung, zu warten. Sie probierte gerade einer Kundin den Hut auf.
    Wie war es mir gut, an diesem Ort zu warten, der keinem der Orte glich, an denen ich mich sonst herumtrieb. Die Aufseherin wollte mich bedienen, ich bestand auf Nadine. Sie kenne sich aus, meine Frau sei ihre Kundin. Sooft Nadine einen Hut vom Ständer nahm und ihn sich selbst auf den schönen Kopf drückte, entstand auf dem Gesicht der Kundin ein Ausdruck von zögernder Hoffnung, und wenn ihr Nadine den gleichen Hut vor dem Spiegel aufdrückte, veränderte sich ihr Gesicht in Scham und Enttäuschung, und auch der Hut war verändert in eine Art von Hutkobold. Nachdem Nadine spöttisch höflich ihren Triumph an einem Dutzend Hüten bewiesen hatte, wurde schließlich ein Einkauf beschlossen. Einrostfarbiger Hut mit breiter Krempe und spitzem Kopf, der ganz gut zu dem paßte, was die Frau von sich selbst im Spiegel sah, doch übel zu ihrem übrigen Rumpf.
    »Ich will jetzt auch einen Hut kaufen«, sagte ich zu Nadine, da die Aufseherin nicht wich. Sie fing sofort an, mir etliche vorzuführen. »Du mußt mir«, sagte ich, sobald die Aufseherin sich ein wenig zurückzog, »deine Mittagspause schenken. Du mußt sofort auf die Präfektur. Ich hoffe, es gibt dort noch deine Freundin, die du mir nachts erwähnt hast.« – »O ja, Rosalie. Sie ist sogar meine Kusine. Wozu brauchst du sie? Willst du abfahren?« Ich schwieg. »Oder diese Frau, die dir nichts als Kummer gemacht hat?« In ihrer Stimme klang eine leise Verachtung. »Gut, laß uns alles tun, damit sie abfährt!« Sie rückte an ihren Hutständern. Sie drehte einen Hut auf dem Zeigefinger, einen runden Kinderhut, der, wenn ich mich recht erinnere, ganz dem alten Hut glich, den Marie, zerdrückt und zerknäult, nie auf dem Kopf, sondern immer in der Hand trug. »Du gibst mir jetzt die Adresse dieser Rosalie. Ich muß sie gleich sprechen in ihrer eigenen Wohnung.« Die Aufseherin trat herzu, und ich nahm den Hut und bezahlte. Nadine notierte Rosaliens Adresse auf die Quittung.
    Ich störte Rosalie beim Essen auf. Das Wasser lief mir im Mund zusammen beim Geruch ihrer Bouillabaisse. Sie aß zusammen mit ihrer Mutter, einer stumpfen dicken Frau, einer erloschenen Rosalie. Rosalie war ziemlich dick, ihre glänzenden schwarzen, etwas hervortretenden Augen erschienen riesenhaft, da sie blauschwarz untermalt waren. Sie erinnerte mich stark an den Hund im Märchen, an den Hund mit Augen wie Wagenräder. Sie bot mir leider nur ein Glas Wein an, keine Bouillabaisse. Sie aß rasch, mit Genuß, von der Mutter genau bedient. Zum Nachtisch gab es winzige Tassen echten Kaffee.
    Ich brachte jetzt mein Anliegen vor. Ich legte alle Papiere auf den Tisch. Sie wischte sich ihren Mund ab,stemmte die Ellenbogen, patschte mit ihren kleinen dicken Händen in den Papieren.
    Sie sagte: »Sie können zehnmal Nadines Freund sein, ich kann nicht um Ihrethalben meine Stelle riskieren.« – »Sie sehen ja, meine Papiere sind soweit in Ordnung, ich habe mein Visum, mein Transit. Ich brauche bis morgen mein Visa de sortie. Ich will Sie auch gerne für Ihre Mühe entschädigen.« Sie sagte: »Verwechseln Sie mich doch nicht mit Nadine. Für mich gibt es bloß eine einzige Entschädigung: eine Hilfeleistung für jemand, der in Gefahr ist.« Ich starrte sie an. Die Maske dieses Gesichts war ihr also nur aufgesetzt worden, die Maske eines fetten augenrollenden Weibes, vortrefflich ihr wahres unsichtbares Gesicht verbergend, das sicher streng, gütig und tapfer war. Ich schämte mich, weil ich nachgedacht hatte, wie ich ihr beikommen

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