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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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törichte Hoffnung gescheitert. Man würde sie wahrscheinlich morgen schon aus dem Bompard zurück in ein endgültiges Lager schicken, dort würde sie rasch vollends zerfallen. Da war es ja in den alten Zeiten besser gewesen, man hatte ein solches Mädchen kaufen können, der Herr hatte schlecht sein können, aber auch gütig, er hätte sie für sein Haus benutzt, zum Warten der Kinder, zum Hühnerfüttern, so häßlich oder verkommensie war, es wäre ihr doch ein wenig Hoffnung geblieben. – Ich sah drei Prestataire vorübergehen, ohne Waffen, ohne Achselstücke. Marie trat in die Tür. Sie hatte das Transit in der Hand. Ich erkannte das rote Bändchen.
    Sie ging auf mich zu und sagte: »Er hat es mir wirklich gegeben.« Sie wollte Aperitifs für uns beide bestellen, um diese Transitgewährung zu feiern. Doch leider war Alkoholverbotstag. Es gab nicht einmal Zitronensaft mehr und auch keinen echten Tee. Sie nahm von selbst meine Hand wie in den alten Tagen. Sie strich sich sanft damit über ihr Gesicht. Ich fragte, ob sie zufrieden sei. Sie ließ eine Hand auf meiner liegen und eine Hand auf dem Transit.
    »Da hast du nun wieder gezaubert«, sagte sie, »du verstehst dich aufs Zaubern, wie sich mein anderer Freund aufs Heilen versteht. Was der eine von euch nicht kann, kann der andere.«
    »Ich fürchte, Marie, jetzt ist ausgezaubert. Meine Künste sind zu Ende. Man braucht sie nicht mehr. Ein Gang auf die Visa-de-sortie-Abteilung der Präfektur, und alles ist erledigt.« – »Es ist noch nicht alles erledigt. Ich war schon dreimal umsonst auf der Präfektur. Sie haben mir dort gesagt, ich muß morgen wiederkommen. Sie müssen erst in den Dossiers nachsehen. Denn alles hängt davon ab, ob man meinem Mann das Visa de sortie bereits erteilt hat. Dann wird man es mir auch ohne weiteres geben. Ich denke, man hat es ihm ausgestellt gleich nach der Transiterteilung. So werde ich endlich morgen alles erfahren.«
    Ihre eben noch warme Hand wurde kühl auf der meinen. Ich dachte verzweifelt: Ich muß sofort zu Nadine hinaufgehen, sie muß noch heute zu ihrer Freundin. Sie hat mir da neulich nachts von einer Freundin gesprochen, die auf der Präfektur sitzt. Die Angelegenheit auf der Fremdenabteilung muß bis morgen in Ordnung kommen.
    Da sagte Marie: »Ich frage mich immer: Wie mag es dort drüben sein? Wird es so sein wie hier? Wird es anders sein?« – »Wo drüben, Marie? Was meinst du?« – Siehob ihre Hand von dem Transit auf und deutete in die Luft von sich weg. »Drüben. Drüben.« – »Wo denn drüben, Marie?« – »Dort drüben. Wenn alles vorbei ist. Wird wirklich endlich Friede sein, wie mein Freund glaubt? Gibt es dort drüben ein Wiedersehen? Und wenn es ein Wiedersehen gibt – werden wir, die sich wiedersehen, so verwandelt sein, daß es gar keinem Wiedersehen gleichkommt, sondern dem, was man hier auf Erden immer umsonst gewünscht hat: einen neuen Anfang. Ein neues Zum-erstenmal-Treffen mit dem Geliebten? Was glaubst du selbst?«
    »Meine liebe Marie, ich habe hier in der Stadt manchen Dreh herausbekommen. Ich weiß hier ziemlich Bescheid nachgerade. Ich kenne mich ganz gut aus in den irdischen Verhältnissen. Obwohl sie ziemlich verworren sind. Hier hab ich ganz gute Beziehungen. Da drüben kenne ich mich gar nicht aus.« – »Er ist gewiß schon angekommen. Er hat gewiß wie ich selbst gedacht, ich sei schon vor ihm gefahren. Kann er wissen, wann ich nachkomme? Mit welchem Schiff? Wird er mich erwarten? Ich glaube jetzt, wenn wir ankommen, wird er dort stehen und mich erwarten.« – »Ach so, du meinst dort. In dem Land, das dir das Visum gewährt hat? Darüber habe ich auch noch nicht viel nachgedacht. Ich denke, daß alles anders als hier sein wird, andere Luft, andere Früchte, andere Sprache. Und trotzdem wird alles ebenso sein. Die Lebenden werden leben wie bisher, die Toten werden tot bleiben.« Sie sagte gedehnt, geringschätzig: »Er wird nicht auf einmal dastehn, glaubst du. Von Schiff zu Schiff auf mich warten.« – »Da drüben, Marie, ich glaube nicht –«
    Plötzlich sah ich durch die gegenüberliegende Tür Achselroth eintreten. Das Paulchen war bei ihm, Paulchens Freundin, seine eigene Freundin, die Kubafahrer. Ich packte Mariens Hand zusammen mit ihrem Transit, ich zog sie auf die Straße, ich zog sie in irgendein anderes Café. »Es war da jemand«, erklärte ich, »den ich durchaus nicht treffen wollte. Er sollte auch dich nicht sehen,ich kann ihn nicht leiden.« Sie lachte und

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