Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
dem Martiniquedampfer.« – »Womit? Ihr Reisegeld liegt ja in Lissabon. Selbst wenn man es hierher schicken sollte, dann wäre der Dampfer längst weg, Sie hätten dann keine Dollars mehr, sondern idiotische Franken. Das Geld wäre stark zusammengeschmolzen und langte nicht mehr für Lissabon. Wozu all der Unsinn?« Ich rief: »Sie müssen mir Geld leihen, auf das Geld, das ja ankommen wird, wenn ich weg bin. Ich brauche nur einen kleinen Teil dieses Geldes, und der Rest gehört Ihnen.« Ichhatte wieder den Eindruck, als müßte ich seine Blicke von meinem Gesicht wegwischen. Ich trommelte mit geschlossenen Fäusten auf seiner Schranke herum. Er zuckte mit den Schultern in einem kurzen stummen Lachen. »Nein. Ich habe das zwar schon einmal gemacht, doch ging es gar zu schlecht aus. Ich lieh das Geld. Die Hafenkommission wies die Leute ab, die ganze Familie wurde zerstört, kein Reisegeld war mehr da, sie wurden alle in Lager verteilt, nach Curs, nach Rieuctos, nach Argéles. Sie schreiben mir alle heute noch wüste Briefe aus drei Konzentrationslagern, als hätte ich ihnen selbst diesen teuflischen Ratschlag gegeben. Dergleichen tu ich nie mehr.« – Ich sagte außer mir: »Verstehen Sie mich! Ich muß mit diesem Schiff fahren. Es kann das letzte sein.« Er wechselte seinen Bleistift von einem Ohr auf das andere. Er lachte. »Das letzte? Vielleicht! Und wenn? Warum müssen Sie, gerade Sie, noch darauf sein? Sie bleiben in guter zahlreicher Gesellschaft zurück. Die Mannschaft dieses Erdteils. Ich bin ein gewöhnlicher Angestellter eines gewöhnlichen Reisebüros. Die Vorbuchung war ja noch keine Verpflichtung, daß Sie die Zeitläufte überleben.« Er trat einen Schritt zurück vor meinem wilden Gesicht. »Und dann, dieses Schiff nach Martinique! Was für ein Unsinn. Das ist doch kein Schiff für Sie. Ein schlechtes abscheuliches Schiff. Es wird Sie nie dahin bringen, wohin Sie wollen.« Er kümmerte sich nicht mehr um mich, nachdem er mein Dossier eingereiht hatte.
    Ich drückte daheim vor Wut den Kopf an die Wand. Ich hätte jemand berauben mögen, um mir das Reisegeld zu verschaffen. Ich hatte nie ganz an Mariens Abfahrt geglaubt. Jetzt war sie endgültig. Ich konnte meinen Geldnachweis vorlegen von meinem Schatz in Portugal. Vielleicht lieh mir jemand. Doch jetzt brach die Nacht schon an, längst waren alle Türen geschlossen.

Zehntes Kapitel
I
    Ich ging in die Brûleurs des Loups. Ich litt darunter, daß dieser zähe Tag kein Alkoholtag war. Ich rauchte und grübelte. Bald überwältigte mich die Furcht, Mariens Schiff könne das letzte sein, bald wurde ich ruhig in einer unbestimmbaren, für den Verstand grundlosen Zuversicht. Auf wen? Auf was? Das hätte ich nicht einmal mir selbst sagen können.
    Auf einmal berührte jemand meine Schulter. Der Arzt stand an meinem Tisch. Er sah mich einen Augenblick nachdenklich an, bevor er sich zu mir setzte, worum ich ihn nicht gebeten hatte. Er sagte: »Ich habe Sie überall gesucht.« – »Mich? Warum?« – »Es gibt nichts Besonderes«, fuhr er fort, doch etwas in seinem Blick verriet mir, daß es sogar für ihn diesmal etwas Besonderes gab. »Marie kam von der Präfektur, sie fing zu packen an. Sie schickte mich dreimal auf die Transports Maritimes, ob das Schiff ja abfahre, ob ja nichts mehr dazwischenkomme, ob unsere Plätze ja gebucht seien. So wie sie bisher gezögert hat, so ist sie jetzt auf die Abfahrt erpicht. Sie hat ihr Visa de sortie erhalten. Doch kommt es mir vor, als müsse ihr dort auf der Fremdenabteilung der Präfektur etwas zugestoßen sein.«
    Ich verbarg meinen Schrecken und sagte: »Was könnte ihr dort wohl zugestoßen sein? Sie hat bekommen, was sie wollte, rasch bekommen.« – »Das ist es ja eben. Das Visa de sortie des Mannes war bereits ausgestellt. Marie hat sicher in den Beamten gedrungen. Man hat ihr wohl keine klare Auskunft gegeben – das hätte sie mir denndoch erzählt. Man hat ihr vielleicht eine neue Hoffnung gemacht, vielleicht durch ein Lächeln, vielleicht durch ein unbestimmtes Wort. Vielleicht nur in ihrer Einbildung, vielleicht nur durch eine Verwechslung. Doch hat es genügt, um Marie heimfliegen zu lassen, um ihre Abfahrt auf einmal toll zu betreiben, als würde sie dort auf der anderen Seite des Meeres zu einer bestimmten Stunde erwartet.«
    »Ihr Wunsch ist erfüllt«, sagte ich, »sie fährt ab. Sie sind vielleicht nicht mehr ganz glücklich über den Anlaß. Sie können sich aber schon jetzt trösten, daß es

Weitere Kostenlose Bücher