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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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schwierig sein wird, einen Mann in einem Erdteil zu finden, der in Marseille nicht gefunden wurde.« Er sah mich etwas zu fest an, schwieg ein wenig und sagte: »Sie irren sich. Sie können auch gar nicht anders, als sich irren, so wie Sie nun einmal sind. Aus welchem Anlaß Marie jetzt abfahren mag, mit ganzem Herzen, ich bin froh, daß sie abfährt. Für mich steht es fest, daß sie Ruhe finden wird, ja Ruhe und Heilung, sobald einmal dieses Schiff von der Joliette abstößt. Einmal auf dem Meer, einmal das Land hinter sich, einmal ein für allemal die Vergangenheit hinter sich, wird sie so oder so geheilt werden. Aus welchem Anlaß sie auch weggetrieben wurde, sie wird dann auch aufhören, einen Mann zu suchen, der gar nicht gefunden sein will, sie wird aufhören, einen Mann aufzustöbern, der offenbar keinen anderen Wunsch mehr hat, als nie mehr aufgestöbert zu werden, als in Ruhe gelassen zu werden.« – Er sprach ganz genau das aus, was ich selbst dachte. Gerade darum geriet ich in Wut. Er hatte auch gegen alle Erwartung das Spiel fast gewonnen, er hatte das Geld, die Papiere. Und ich, der behender als er war und schlauer, ich war nicht abfahrtbereit. Ich rief: »Das können Sie gar nicht wissen. Der Mann wäre vielleicht im Gegenteil glücklich, wenn er noch einmal aufgestöbert werden könnte.«
    »Beunruhigen Sie sich doch nicht um einen Menschen, den Sie nie im Leben gesehen haben! Sein Schweigen erscheintmir beharrlich, sein Entschluß erscheint mir endgültig.«
    Wir gingen zu zweit heim. Wir gingen schweigend über den leeren Belsunce. Wir traten vorsichtig auf, um nicht in den Netzen hängenzubleiben, die über den nächtlichen Riesenplatz gezogen waren. Da trockneten sie, mit Steinen beschwert, die Netze derer, die immer gefischt haben und immer fischen werden – Der Arzt bog in die Rue du Relais ein, ich schlug mich durch das Gewimmel von Gassen in die Rue de la Providence.
II
    Bei Morgengrauen stand ich in der Rue de la République. Doch war ich nicht der einzige, der schon bei Sternengefunkel wartete, die Transports Maritimes möge die Läden hochziehen. Die frierenden Männer und Frauen klagten, ein neuer Krieg stehe bevor, der Hafen von Lissabon sei gesperrt, Gibraltar sperre, dieses Schiff sei das letzte.
    Ich fühlte sofort vor dem Schalter der Schiffahrtsgesellschaft, daß meine Stimme falsch klang, weil sie bittend klang. Der Beamte erwiderte auch: »Auf solche Umschreibungen lassen wir uns nicht ein. Sie haben Frist bis zum Mittag, dann verfällt jede Vorbuchung.«
    Ich hatte mich noch nicht endgültig vom Schalter abgekehrt. Doch als ich auf das Geflehe der Menschen hörte, da faßte mich plötzlich in meiner eigenen Abfahrtsbesessenheit eine Art Scham, daß ich dahin geraten war. Da packte mich jemand am Handgelenk, jemand sagte: »Sie wollen also doch fahren?« Ich blickte auf: mein kahlköpfiger Mittransitär. Ich sagte: »Ich habe mein Visum, mein Transit. Die Anwartschaft auf das Visa de sortie. Doch habe ich bis jetzt kein Billett.« Er sagte: »Sie haben ein Billett. Sie wissen es nur noch nicht.« Ich sagte: »Leider nein, bestimmt nicht.« Er sagte streng: »Sie haben ein Billett.Hier ist es. Ich bin im Begriff, mein eigenes zurückzugeben. Ich trete es Ihnen ab.« Ich verbarg meine Bestürzung.
    Er war erregter als sonst, wie es Menschen zu sein pflegen, die einen großen Entschluß gefaßt haben, den sie zum erstenmal einem anderen mitteilen. »Ich werde Ihnen gleich alles erklären. Ich lade Sie ein, die Platzabtretung zu feiern. Ich werde allerdings auch abfahren, aber in anderer Richtung.« Er zog mich zurück zum Schalter der Schiffahrtsgesellschaft. Ich machte mich los und rief: »Sie irren sich. Ich habe kein Geld, um dieses Billett zu bezahlen. Ich habe kein Geld, um eine Kaution zu bezahlen, ohne die man mir nie das Visa de sortie gibt. Und ohne das Visa de sortie kein Billett.« Er packte mich fest ums Handgelenk. Er sagte gleichmütig: »Wenn das das einzige Hindernis ist! Ich brauche hier Ihr Geld gar nicht. Mir ist es viel lieber, das Geld befindet sich außerhalb Frankreichs.« Mir klopfte mein Herz. Er aber hielt mich fest um das Handgelenk, und während er ruhig und fest auf mich einsprach, begann ich zu begreifen, daß ich das Spiel bis zu Ende gespielt hatte, bis zu Ende gespielt und gewonnen. »Sie haben ja einen Brief in der Tasche, daß Ihre Route im voraus bezahlt ist. Ihr Reisegeld liegt in Lissabon.«
    Er setzte sich und fing an zu rechnen. Ich stand

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