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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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seit Jahren. Im schlimmsten Fall wird es ein Stempel sein auf einem Stück Papier. Dem Toten wird es nicht weh tun. Ich aber bekomme dadurch die sicherste, nützlichste Aufenthaltsverlängerung. Ich glaubte fest, mein Leben könne sich echt verwurzeln mit einer echten Aufenthaltsverlängerung. Ich hätte sogar den Trieb des Fortzugs verloren.
    Mein Herz klopfte stark, als ich den Boulevard de la Madeleine hinaufging. Ich glaubte zuerst, ich hätte mich in der Nummer geirrt. Kein Wappenschild mehr! Das Tor geschlossen!
    Ein Haufen Menschen stand auf der Straße, vom Wind durchblasen, unschlüssig, bestürzt. Sie stöhnten mir entgegen: Das Konsulat ist wegen Umzug geschlossen. Es gibt keine Visen. Wir können nicht fort. Vielleicht fährt diese Woche das letzte Schiff. Vielleicht kommen morgen die Deutschen. – Der bärtige Prestataire trat hinzu. Er sagte: »Beruhigt euch doch, ihr Leute. Die Deutschen kommen vielleicht, doch sicher fährt jetzt kein Schiff. Mit Visen oder ohne. Geht heim, ihr Leute!«
    Sie aber, als ob der Wind sie zwar drehe und schüttele, doch gleichzeitig auf der Stelle zusammenhalte in einem Wirbel von Angst, sie warteten noch, als lasse sich das verschlossene Tor erweichen. Sie waren so bleich und durchgefegt, als sei das erwartete Schiff nun die letzte Fähre über den dunklen Strom, doch selbst diese Fähre sei ihnen verwehrt, weil sie noch ein wenig lebendig waren, zu seltsamen Leiden bestimmt.
    Sie trotteten endlich auseinander. Ein alter großerMann blieb zurück mit glänzend weißen Haaren. Er sagte finster: »Ich hab genug. Sie meinen doch nicht, ich soll jetzt noch einmal auf das neue Konsulat gehen? Meine Kinder sind alle krepiert im Bürgerkrieg. Beim Übergang über die Pyrenäen starb mir die Frau. Ich verstehe alles. Ich weiß nicht warum, mich trifft nichts. Nur finden Sie, junger Mann, daß es großen Zweck für mich hat, mich mit meinen weißen Haaren, mit meinem zerrissenen Herzen hier in Marseille herumzuschlagen mit diesen törichten Männern, den Konsuln?« – »Der kleine Kanzler ist nicht töricht«, erwiderte ich, »er behandelt Sie sicher mit Ehrerbietung.« – »Es handelt sich um das Transit«, sagte der alte Mann. »Wenn man mir hier auch das Visum gibt, muß ich mich dort um das Transit anstellen. Ich könnte den Wunsch nie unterdrücken, das Schiff möge unterwegs untergehen. Sie finden doch nicht, daß es Zweck für mich hat, jetzt noch einmal auf das Konsulat zu gehen, das man neu eröffnen wird?« Ich erwiderte: »Es hat keinen Zweck.« Er sah mich starr an und ging weg.
VIII
    Auch ich ging weg. Ich ging ein paar Schritte die Straße hinunter. Da fuhr die Elektrische an mir vorbei. Sie hielt fünf Meter von mir entfernt. Es gab an der Haltestelle eine kleine Verzögerung. Man half jemand beim Aussteigen. Ich schrie: »Heinz!«
    Denn wirklich: Heinz, nachdem man ihn auf das Pflaster gestellt hatte mit seinen zwei Krücken, kam langsam den Boulevard de la Madeleine herauf, er erkannte mich auch, doch war er zu atemlos, um zu rufen.
    Er war noch mehr zusammengeschrumpft seit unserer gemeinsamen Lagerzeit. Sein Kopf sah noch schwerer aus, seine Schultern waren noch dünner. Bei seinem Anblick erschien es mir neu und merkwürdig, wieso das Leben eingesperrt ist in einem zerbrechlichen Körper, denman verstümmeln und quälen kann. Ja, eingesperrt. Die Helligkeit seiner Augen spottete über diese Gefangenschaft, sein großer Mund war verzogen vor Anstrengung.
    Im Lager hatte ich oft versucht, diese Augen auf mich zu ziehen mit den lächerlichsten Mitteln. Sie pflegten sich rasch und entschieden auf den einzelnen Menschen zu richten in hellster Aufmerksamkeit, um etwas in ihm zu suchen und auch zu finden, was jedesmal die ohnedies scharfe Helligkeit dieser Augen noch heller machte, wie wenn ein Licht frischen Stoff zum Brennen bekommt. Ich habe vielleicht gerade deshalb immer wieder einen neuen Zufall gesucht, der diesen Blick auf mich lenkte. Denn selbst in mir fand er etwas, ich weiß nicht was, wovon ich selbst nicht mehr wußte, daß es noch immer in mir vorhanden war, und daß es noch immer in mir vorhanden war, merkte ich eben auch nur, solang dieser Blick auf mir ruhte, an seiner etwas schärferen Helligkeit. Dabei war mir klar, daß Heinz wenig mit mir zu schaffen hatte. Ihm gefielen Eigenschaften, die mir abgingen, die für mich nichts bedeuteten. Mindestens war ich damals davon überzeugt, daß sie für mich nichts bedeuteten. Ich meine: unbedingte, für

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