Transit
gekünstelt. Du scheinst inzwischen sein Kuli geworden zu sein.« – »Was bin ich inzwischen geworden?« – »Sein Kuli. Das kennen wir. Weidel hat immer seinen Kuli gefunden,bis sie mit Heidenkrach auseinandergingen. Er versteht es, die Leute zu verzaubern – aber nur auf Frist. Selbst seine eigene Frau.« – »Was ist das eigentlich für eine Frau, Paulchen?« Er dachte nach. »Sie ist nicht nach meinem Geschmack. Sie ist –« Ich fühlte grundlos ein leises Unbehagen. Ich unterbrach ihn rasch: »Also gut, du wirst für den armen Weidel tun, was in deiner Macht steht. Du hast ja eine gewisse Macht über einen gewissen Menschenkreis. Kannst du mir auch ein paar Francs pumpen?« – »Mein Lieber, da steh du nur ein paar Stunden Schlange an auf irgendeinem Komitee.« – »Bei was für einem Komitee?« – »Du lieber Himmel! Bei den Quäkern, bei den Juden von Marseille, bei der Hicem, bei der Hayas, bei den Katholiken, bei der Heilsarmee, bei den Freimaurern.« Er entfernte sich eilig. Er war im Nu die Cannebière hinuntergespült.
VII
Beim Heimkommen hielt mich die Wirtin an. Ich hatte von dieser Frau stets nur den Kopf und den Busen wahrgenommen, die Teile ihrer äußeren Erscheinung, die in dem Fenster über der hohen Stiege sichtbar waren. Von diesem Platz aus verfolgte sie gleichgültig aufmerksam das Auf und Ab ihrer Gäste. Sie schwatzte, ich hätte Glück gehabt, die Polizei sei wiedergekommen, sie hätten die Zimmernachbarin mitgenommen. – Warum? – Weil sie durch die Verhaftung ihres Mannes bei der letzten Razzia ohne männlichen Schutz in der Stadt lebt. Und alle Frauen, die ohne eigene Männer und ohne genügende Ausweise hier in Marseille entdeckt werden, die sperrt man ein in dem neuen Frauenlager, dem Bompard.
Der Wirtin war alles offenbar herzlich gleichgültig. Sie legte sich jeden Franc zurück, den sie aus ihren unsicheren Gästen herausholte, um sich so bald wie möglich ein Spezereigeschäft einzurichten. Vielleicht stand sie auchim Bunde mit einem der Polizisten, dem Führer der Razzien, mit dem sie, die über uns alle Bescheid wußte, die Prämie für jeden Menschenfang teilte. So lebte sie ganz unternehmend in ihrem stillen Schlupfwinkel. Und alle Klagen und alle Verzweiflung der Festgenommenen verwandelten sich in ihren Gedanken zuletzt in Erbsen, Seife und Makkaroni.
Die nächsten Tage versuchte ich Paulchens Rat zu befolgen. Doch fielen auf allen Komitees meine Versuche kläglich aus. Anfangs erzählte ich allen, ich erwartete Arbeit auf einer Farm, ich brauchte nur ein klein bißchen Geld, um solange hier durchzuhalten. Darauf zuckten alle die Achseln. Ich bekam nichts und hatte nicht einmal Geld für Zigaretten. Darauf schlug ich endlich die Lehren in den Wind, die mir meine Eltern gegeben hatten und die mir immer noch im Blut steckten: daß der Mensch standhalten müsse, seine Sache immer erst aufgeben, wenn es unumgänglich geworden sei. Ich aber fing jetzt gleich an zu erzählen, daß ich alles aufgeben wolle und abreisen. Das begriffen alle. Hätte ich sie um Geld gebeten für eine Hacke, damit ich noch mal mein Glück versuchte auf einem Rübenacker, irgendwo auf der alten Erde, sie hätten mir bestimmt keine fünf Francs für die Hacke gegeben. Sie belohnten allein die Abfahrtsbereiten, die alles aufgaben. Also stellte ich mich von nun an abfahrtssüchtig, worauf ich Geld genug bekam für die Wartezeit auf das Schiff. Ich zahlte mein Zimmer, ich kaufte mir Zigaretten und Bücher für Binnets Jungen.
Mein zweiter Marseiller Monat ging noch nicht zu Ende, war aber gehörig angebrochen. Inzwischen hatte mir Marcel geschrieben, er stehe mit seinem Onkel nicht schlecht, ich könne im Frühjahr vielleicht auf die Farm. Doch hätte ich diesen Grund meines Wartens auf dem Fremdenamt angegeben, ich wäre sicher eingesperrt worden oder weiß der Teufel wohin zurückgeschickt. Denn Flüchtlinge müssen weiterfliehen, sie können nicht plötzlich Pfirsiche ziehen. Ich brauchte zur Verlängerungmeines Aufenthaltes zum zweitenmal eine Bescheinigung, daß ich hier auf ein Visum wartete. Ich mußte also wohl oder übel noch einmal aufs mexikanische Konsulat. An dieser Bescheinigung ist nichts Arges, dachte ich damals, ich nehme sie niemandem weg. Sie wird mich Atem holen lassen. Inzwischen können unzählige Dinge geschehen, die mein Leben verändern. Vielleicht kann ich früher auf Marcels Farm. Es kommt darauf an, daß ich meine Freiheit bewahre. So dachte ich, so denken wir alle
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