Transit
»gerade auf diesem Ausweis, den ich zum Fahren brauche, steht ja gedruckt: ›Zwangsaufenthalt in Marseille.‹ Hör doch auf zu lachen! Zum Glück sind Freunde dabei, für mich die Dinge zu ordnen, höchst angesehene Freunde. Ich habe schließlich das Danger-Visum.«
Das letzte Wort war mein Stichwort. Ich sah uns zusammen sitzen in Paris auf dem Carrefour de l’Odéon. Das mußte in uralten Zeiten gewesen sein. Ich hatte mich mit den Papieren des Toten herumgetrieben, seinen Namen verwertet. Es hätte ebensogut ein anderer, mir zufällignützlicher Name sein können. Zum erstenmal gedachte ich wieder des Mannes selbst, des toten Mannes, in Ehrfurcht und Trauer.
»Warum bist du, Paul, damals nicht mehr in die Capoulade gekommen? Mit deinem Freund, weißt du, dem Weidel, das war eine schlimme Sache.« – »Ja«, sagte Paul, »das ist eine schlimme Welt.« – »Sie ist ziemlich schlimm. Und dabei hat nun dieser Mann ein Visum, ein schönes Visum auf dem mexikanischen Konsulat.« – »So? Eigentlich sonderbar. Hat er kein Visum nach den Staaten? Nach Mexiko fahren doch nur –« – »Weißt du, Paul, ich glaube, da hast du recht gehabt, ich verstehe ja nichts von Kunst. Ich glaube aber, dein Freund, der Weidel, der hat was davon verstanden.«
Paul sah mich sonderbar an. »Du hast das ganz richtig ausgedrückt, er hat einmal etwas davon verstanden. Seine letzten Arbeiten sind – wie soll ich es nennen? – etwas blasser.« – »Ich verstehe gar nichts davon, Paul, ich habe nur einmal etwas von diesem Weidel gelesen, das letzte, was er schrieb. Ich verstehe nichts davon. Mir gefiel es.« – »Wie heißt es?« – »Ich weiß nicht.« – Da sagte Paul: »Ich bezweifle stark, daß ein Mann seiner Art in Mexiko jemals schreiben kann.« Ich schwieg vor Überraschung. Ich brauchte mich also nicht zu schämen, wenn unser Wiedersehen dürftig ausfiel. Das Paulchen wußte nicht einmal, daß Weidel tot war. Er konnte vielleicht auch nichts davon wissen im Wirbel des Krieges. Oder doch? Er hätte doch fragen und forschen müssen und keine Ruhe geben. Der Tote war doch seinesgleichen. Ich verstand jetzt noch besser, warum dieser Weidel alles satt gehabt hatte. Sie hatten ihn sicher schon vorher gründlich allein gelassen. Paul sagte: »Die Hauptsache ist: Er hat ein Visum.« Wir schwiegen, und während wir schwiegen, surrte mein Kopf. Ich sagte: »Mit dem Visum klappt es auch noch nicht. Das Visum lautet auf seinen Schriftstellernamen.« – »Solche Fälle kommen oft vor. So heißt er in Wirklichkeit gar nicht Weidel? Das wußte ich nicht.« –»Du weißt eine Menge Sachen nicht, Paul.« Ich sah ihm in die Augen. Ich dachte: Du bist ja dumm, Paulchen. Das ist es ja, was dir fehlt. Sonst nichts. Das ist ja dein verborgenes Gebrechen. Daß ich noch nicht darauf gekommen bin! Weil du klug redest, klug daherkommst. Die Dummheit leuchtet dir aus den braunen Augen. »Wie heißt er denn in Wirklichkeit?« fragte Paul. Ich dachte: Ob dein Freund lebt oder stirbt, darauf warst du nicht neugierig, doch dieser Namenstratsch, der erfüllt dich mit Neugier. Ich erwiderte: »Er heißt Seidler.« – »Sehr sonderbar«, sagte Paul, »daß jemand sich Weidel nennt, wenn er Seidler heißt. Ich werde mein Komitee veranlassen, da ich selbst dort als Vertrauensperson fungiere, daß es sich dieses Falles annimmt.« – »Wenn du das fertigbrächtest, Paulchen, du, der du soviel Macht hast – soviel Einfluß auf soviel Menschen.« – »Ich habe einen bestimmten Einfluß auf einen bestimmten Menschenkreis. Weidel soll bei uns vorbeikommen.« Der Paul hat sich irgendwo eingebaut, dachte ich, hinter einem Schreibtisch verschanzt. Hab ich ihn denn nicht selbst immer in hilflosen Lagen getroffen? In Paris? In der Normandie? Er ist dumm. Gewiß. Eben darum macht er gar keine Abschweifung. Er gebraucht all sein bißchen magere Kraft, das ihm gewährte bescheidene Quantum von Menschenverstand, sich an irgend jemand, an irgend etwas zu heften, was ihm schließlich immer heraushilft. In Paris war’s, wenn ich mich recht erinnere, ein Seidenhändler, der Mann der besten Freundin – Ich sagte: »Weidel geht nicht so leicht mehr unter Menschen. Er ist ja scheu. Erledige du, der du alles kannst, der du sehr gewitzt bist, die Sache für ihn. Es dreht sich nur um ein Telegramm –« – »Ich werde mein Komitee veranlassen. Wenn ich auch sagen muß, daß ich für Weidels Scheuheit, wie du das nennst, nichts übrig habe. Ich halte sie für
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