Transit
diesen Leuten zurückhalten. Er hat mir geantwortet, das Motiv locke ihn.« – »Daher das Mexikovisum«, sagte Achselroth, »jedenfalls beruhigt es mich, daß ich die nächsten Jahre sein gekränktes Gesicht nicht zu sehen brauche.« – »Beruhige dich nicht zu früh«, sagte Paul, »er wird wahrscheinlich durch unsere Bürgschaft sein amerikanisches Transit bekommen, vielleicht fahrt ihr auf einem Schiff.« Ich fragte: »Warum sind Sie nicht schon abgefahren? Sie kamen doch Wochen vor uns hier an?«
Achselroth drehte sich scharf nach mir um. Er sah mir gerade ins Gesicht, als prüfe er, ob ich mich über ihn lustig mache, die übrigen starrten mich an und lachten dann alle laut heraus. Paul sagte: »Du bist bestimmt dereinzige in Marseille, der diese Geschichte nicht kennt. Ich stelle dir eine Reisegesellschaft vor, die bereits in Kuba war.« Der Mann mit dem Doppelkinn nickte traurig, wodurch sich bei ihm drei Kinne bildeten. Die Frau mit der Feder rückte zu mir. »Herr Achselroth hat uns bereits in Paris herausgefischt und in besagtes Auto verstaut, zusammen mit dieser Dame und ihren Koffern, so daß denn kein Platz mehr für Weidel war. Uns aber brauchte er, für uns war Platz, wir schreiben ihm die Musik für sein neues Stück, er fuhr wie der Teufel selbst vor den Deutschen her, er rettete uns mitsamt der Musik für sein Stück. Kein Mensch kam so rasch hier unten an, wie er mit uns. Er kaufte schon in der ersten Woche die Visen. Wir waren die ersten, die fuhren, nur leider war er beschwindelt worden, die Visen waren gefälscht, in Kuba ließ man uns nicht an Land, wir mußten zurück auf demselben Schiff.«
Ich dachte bei mir, wie merkwürdig schlecht dem Achselroth das zu Gesicht stand, was man Pech rennt. Er schien für das Glück geschaffen, vergoldet von Glück. Er verzog den Mund und sagte: »Wir haben ein wenig gelernt, gefährlich zu leben. Die Musik für das Stück wird in der westlichen Hemisphäre geschrieben. Ein wenig Geduld. Wir sind jetzt hübsch ordnungsgemäß in Lissabon vorgebucht. Wir haben Konsuln zu Freunden. Wir haben die Transits für Spanien und Portugal in der Tasche. Wir können hier jede Stunde abhauen.« – Er deutete auf das schöne Mädchen, das leicht zusammenzuckte, dann aber gleich zurückfiel in seine blendende Reglosigkeit. »Ich hatte auch noch anderen Gewinn aus der erzwungenen Rückfahrt: Befreiung von Imaginationen. Es gibt einen alten Aberglauben von den Folgen gemeinsamen Schicksals. Gewöhnlich bezeichnet man diese Folgen als Treue. Ich hätte mir, wäre die Landungsbehörde von Kuba humaner gewesen, gewiß noch lange eingeredet, das gute Kind gehöre auch weiter zu mir, nur weil es eine erregende Strecke meines Lebens geteilt hat. Da kammir die seltene Gelegenheit, noch einmal zwangsweise an meinen Ausgangspunkt zurückgeführt zu werden. Ich revidierte meine Papiere und meine Gefühle. Der Spuk von Treue verflog.« Ich sah mir noch einmal das Mädchen an und hätte mich nicht gewundert, es wäre, ein reines Erzeugnis von Achselroths Einbildungskraft, das gänzlich überflüssig geworden war, über den Belsunce abgeflogen.
Ich fühlte mich etwas unbehaglich, als sei ich, ein höchst gewöhnlicher Bursche, in die Gesellschaft von Magiern geraten. Der Mann mit dem Doppelkinn hielt mich auf, als ich wegging.
Er nahm mich beiseite. »Ich bin sehr froh, Sie getroffen zu haben. Ich achte Herrn Weidel. Er kann viel. Ich war die ganze Zeit um ihn besorgt. Jetzt bin ich froh, weil ich weiß, daß er außer Gefahr ist. Als wir damals ohne Weidel aus Paris abfuhren, da hab ich mir immer Vorwürfe gemacht, daß ich nicht statt seiner zurückgeblieben bin. Er hätte das verdient. Ich war natürlich dazu zu schwach. Und als uns das Unglück in Kuba zustieß, als wir wieder zurück mußten, da kam es mir vor, das sei die Strafe für meine Schwäche, für meine übergroße Eile.« – »Beruhigen Sie sich, solche biblischen Strafen werden heute nicht mehr erteilt. Denn wenn es der Fall wäre, müßten die meisten Menschen wieder zurückgeschickt werden.« – Ich sah ihn an und merkte, das Fett, das seine Augen vergrub, das Falten um sein Kinn warf, verbarg seine wahren Züge. Er steckte mir einen Geldschein zu und sagte: »Weidel war immer arm. Er wird es brauchen. Versuchen Sie, ihm zu helfen. Er hat nie verstanden, sein Geld zu machen.«
VI
Ich war frühmorgens aufgestanden. Ich hatte Claudine versprochen, noch vor der Eröffnung rechtzeitig Schlange zu stehen vor einem
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