Transit
Macht und Hochmut. Er war mir fremd bis ins Mark, doch kam er mir auch, ich wußte durchaus nicht warum, vertraut vor. – Das Paulchen rief: »Erkennst du den Achselroth nicht?«
Ich sah ihn genau an. Ich erkannte den Achselroth. Hatte Paul mir nicht einmal erzählt, der sei schon auf und davon nach Kuba? Ich gab ihm die Hand. Er sah in seinen vornehmen Zivilkleidern ebenso verkleidet aus wie früher im Lager in seinen Prestatairefetzen. Dabei fiel mir ein, was das Paulchen auch noch von dem Achselroth erzählt hatte, von seiner unübertrefflichen Imstichlasserei damals auf der Flucht am Kreuzweg. Das Paulchen hatte offenbar alles vergessen und verziehen. Ich hatte ja auch selbst alles vergessen gehabt und dem Achselroth die Hand geschüttelt.
Achselroth sagte: »Sie sind an den Weidel geraten? Da ist er also doch eingetrudelt. Ein Glück, daß ich nicht in euch alle mein Gewissen investiert hatte. – Ich stoße nämlich auf Schritt und Tritt auf Leute, die mir grollen, weil ich mich nicht genug christlich an ihnen bewährt habe. Und Weidel verstand von jeher am besten zu grollen. Ich traf ihn kürzlich im Mont Vertoux –«
Ich rief: »Sie, Weidel?«
Er sagte: »Der fürchtet schon, daß sich sein Herr und Meister etwas vergeben hat. Nein, nein, er grollte. Er krümmte sich hinter seiner Zeitung zusammen, damit esja nicht zu einem Wiedersehen komme. Ihr wißt doch, Weidel steckt im Café immer den Kopf hinter eine Zeitung, damit ihn ja keiner anredet, und in die Zeitung hat er mit einer Stecknadel Löchlein gestochen, damit er versteckt dem Treiben der Menschen zusehn kann. Er gibt ja was auf das Treiben der Menschen, auf das Stoffliche, Verwicklungen alten Stils, die grobe Fabel.«
Der dicke Mann mit dem Doppelkinn murmelte: »Ein großer Zauberer – mit dem alten Trick.«
Ich hatte Achselroth etwas zu stark angestarrt, er runzelte die Stirne. Ich zog meinen Blick rasch von ihm ab auf das zarte engelschöne Gesicht des goldhaarigen Mädchens. Paul flüsterte: »Sie war seine Freundin bis vor kurzem. Auf einmal erklärte er, daß er es satt hat, noch länger ›das schönste Paar an der Côte d’Azur‹ mit ihr zu spielen.«
Achselroth fuhr fort: »Die große Fabel in diesem Fall war übrigens folgende: Du kannst dich doch wohl noch an unsere Flucht aus dem Lager erinnern, Paulchen, an unseren Kreuzweg, und wie ich ohne euch abhaute? J’éspère que cela ne te fait plus du mauvais sang?«
»Jetzt sind wir doch zusammen am selben Ort«, sagte Paul, für den das offenbar der springende Punkt war.
»Ich bekam einen großen Vorsprung vor den Deutschen. Ich zog vor Hitler in Paris ein. Ich schloß meine Wohnung in Passy auf, ich packte mein Geld zusammen, meine Wertsachen und Manuskripte, ein paar Kunstgegenstände, benachrichtigte dieses teure Paar« – er deutete auf die gefiederte Dame und den Mann mit dem Doppelkinn, die beide ernst nickten, »diese Dame hier«, er deutete auf das goldhaarige Mädchen, das reglos und anteilslos blieb, als könne eine geringe Bewegung ihre dahingehauchte Schönheit verwischen. »Da kommt mir dieser Weidel an, wahrscheinlich hat er Paris nach Freunden durchstöbert, er ist bleich und zittert, die Nazis, so nahe, gehen ihm auf die Nerven. In unserem Auto war anscheinend damals noch Platz. Ich versprach, ihn mitzunehmen,ihn abzuholen, eine Stunde später. Dann erwies sich das Gepäck dieser Dame als recht beträchtlich, denn sie braucht ihre Kostüme, ihre Berufskleider. Die Dame konnte nicht leben ohne ihre Koffer, ich konnte damals nicht leben ohne die Dame, also mußten wir auf Weidel verzichten.«
»Weidel hat immer in seinen Taschen eine Menge Konfliktstoffe«, sagte Paul, »jetzt beschäftigt er wochenlang unser Komitee, man könnte für ihn ein besonderes Komitee einrichten. Wir haben wirklich nur mit halbem Gewissen bei dem Konsul der Vereinigten Staaten für den Mann bürgen können. Er hat sich damals in diese Sache eingelassen.«
»In welche Sache?« fragte der Mann mit dem Doppelkinn.
»Ach, vor vier Jahren. Im spanischen Bürgerkrieg. Kommt ausgerechnet dem Weidel irgend so ein Brigadenmajor auf die Bude, erzählt ihm Greuelgeschichten und beeindruckt den armen Kerl, der nun mal zugänglich ist für Absurditäten und Blut und Grauen, und das Ergebnis: eine Novelle à la Weidel über eine Massenerschießung in einer Arena vor einem Inquisitionsgericht. Diese Novelle versandte der spanische Pressedienst. Ich hab ihn übrigens damals gewarnt, er solle sich von
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