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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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voreingenommen.«
    Ich wollte gerade sagen, er möchte mit seinem Geschwätz aufhören, da stand er auch schon von selbst auf, verbeugte sich vor Claudine und ging weg. Wir hatten bei diesem Gespräch in Claudines Küche gesessen, an ihrem winzigen, von einem reinen, blaugewürfelten Wachstuch bedeckten Küchentisch. Sie war mit großer Aufmerksamkeit unseren Worten gefolgt, obwohl wir deutsch sprachen, als teile sich ihr der Sinn unserer unverständlichen Worte auf andere Weise mit. Ihre langen Hände, außen dunkel, innen rosa, bewegten sich mit den Stricknadeln wie ein schmales kräftiges Blattwerk.
    Nach dem Abgang des Arztes muß ich lange geschwiegen haben. Claudine begann: »Was fehlt dir eigentlich? – Seit einigen Wochen bist du verändert. Du bist nicht mehr der Mensch, der du warst, als du zum erstenmal zu mir kamst. Erinnerst du dich noch? Ich warf dich hinaus. – Ich war außerordentlich müde, ich wollte Essen vorkochen für den nächsten Tag. Dir fehlt etwas, widersprich nicht. Was fehlt dir? Warum gehst du immer mit diesem Arzt, mischst dich in seine törichten Abfahrtsgeschäfte? Dieser Mann ist kein Freund für dich. Er ist ein Fremder.« – »Ich bin ja auch einer.« – »Uns bist du jedenfalls nicht fremd. Dieser Arzt ist sicher ein guter Mensch. Er hat meinen Jungen geheilt. Deshalb bleibt er uns doch fremd.« – »Claudine, bist du denn nicht selbst hier fremd?« – »Du vergißt, daß ich hierhergekommen bin, um zu bleiben. Für euch ist die Stadt zum Abfahren da, für mich war die Stadt zum Ankommen. Sie war mein Ziel, genau wie für euch die anderen Städte da drüben, und jetzt bin ich eben hier.« – »Warum bist du weg von zu Hause?« – »Davon verstehst du nichts. Was verstehst du von einer Frau, die, ihr Kind im Tuch, ein Schiff besteigt, weil daheim kein Platz mehr für sie ist? Weil man allerlei Volk anwirbt für eine Farm, für eine Fabrik, für irgend etwas, wovon sie gar nichts begreift, was es ist. Und dann ihr! Eure kalten Augen! Die ihr lange braucht für etwas, was für uns im Augenblick abgemacht ist, und in einem Augenblick abmacht, was für uns das Leben lang dauert. Du fragst auch nur, damit du selbst nicht gefragt wirst. Du bist nicht mehr mit Nadine? Hast du eine andere? Macht sie dir Kummer?« – »Laß mich in Frieden. Sag lieber, hast du nie Lust, wieder heimzufahren?« – »Vielleicht, wenn mein Sohn ein Lehrer geworden ist oder ein Arzt. Nicht jetzt allein. Denn ein Blatt, das im Wind herumweht, würde eher auf seinen Zweig zurückfinden. Ich will mit meinem Kind bei Georg bleiben, solange es möglich ist.«
    Sie machte sich selber kein Hehl aus der Brüchigkeit ihrer vier Wände. Sie würden vielleicht gerade deshalbum so haltbarer sein. Ich hatte jedenfalls stark wie nie das Gefühl, in ein Heim geraten zu sein. Wahrscheinlich war sein Anfang auch nur Georgs Wunsch gewesen, einmal diese fremde Hand zu berühren. Georg, den ein falscher Evakuationsplan seiner Fabrik nach dem Süden verpflanzt hatte. Wie kam es nur, daß sich um solche Georgs immer vier Wände stellten, während für mich nie etwas seine Folgen hatte, weder glückliche noch schmerzliche? Ich blieb letzten Endes immer allein zurück, unbeschädigt zwar, aber dafür auch allein.
IV
    Ich setzte mich in die Brûleurs des Loups. Die Leute um mich herum waren alle in furchtbarer Aufregung, nur weil um die Mittagszeit ein Hakenkreuzauto die Cannebière hinuntergesaust war. Wahrscheinlich nur eine der Kommissionen, die mit den spanischen, italienischen Vichy-Agenten in einem der großen Hotels verhandelten. Die Menschen gebärdeten sich, als sei der Leibhaftige selbst die Cannebière hinuntergerasselt, als könnte er die verlorene Herde fangen in seinem Pferch aus Stacheldraht. Ich glaube, sie waren alle nahe daran, ins Meer hineinzulaufen, da ja zunächst keine Schiffe mehr fuhren.
    Auf einmal sah ich in einem der Spiegel, die hier die Wände bedeckten, als wollte man das Durcheinander von Fratzen noch fratziger und verwickelter machen, Marie still hereinkommen. Ich sah gespannt ihre Suche mit an, das Abgehen aller Plätze, das Ablesen aller Gesichter. Und ich, der einzige Mensch, der wußte, daß ihre Suche zwecklos sei, ich wartete atemlos, daß sie an meinen Tisch treten müsse. Ich fühlte plötzlich, ich müsse jetzt dieser Suche ein Ende machen, ein für allemal. Ich fühlte schon die ganze Verheerung voraus, die ich jetzt gleich anrichten würde mit drei Worten verfluchter Wahrheit.
    Da

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