Transit
fiel ihr Blick auf mich, ihr bleiches Gesicht wurde frisch und rot, in ihren grauen Augen erglänzte ein warmes, gutes Licht, sie rief: »Ich suche dich seit Tagen.« Ich vergaß meinen Vorsatz. Ich ergriff ihre Hände. Ihr kleines Gesicht war der einzige Ort auf Erden, wo es für mich noch Frieden gab. Ja, Frieden und Ruhe legten sich augenblicklich auf mein gejagtes Herz, als säßen wir miteinander auf einer Wiese in unserer Heimat und nicht in diesem verrückten Hafencafé, dessen Wände das Zappeln und Grauen der Flüchtlinge spiegelten.
Sie sagte: »Wohin warst du denn verschwunden? Nun sag mir, du hast wohl noch keine Antwort von deinen Freunden da auf den Konsulaten?«
Meine Freude verging fast. Ich dachte: Darum sucht sie mich! Genau wie den Toten! Ich sagte: »Nein. So schnell kommt keine Antwort.« Sie seufzte auf. Ich konnte aus dem Ausdruck ihres Gesichtes nicht klug werden. Es sah fast aus wie Erleichterung. Sie sagte: »Wir wollen jetzt ruhig beieinandersitzen. Wir wollen uns stellen, als gäbe es keine Abfahrt, keine Schiffe, keinen Abschied.«
Zu diesem Spiel war ich leicht zu haben. Wir saßen vielleicht eine Stunde zusammen so schweigsam, als hätten wir später viel Zeit, unermeßlich viel Zeit zum Wortemachen, einträchtig, als könnte uns nichts mehr trennen. Mir wenigstens war es so zumut. Ich wunderte mich nicht einmal, wie fügsam sie mir ihre Hände ließ, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt – oder vollständig belanglos, wer jetzt ihre Hände noch halte. Sie sprang plötzlich auf. Ich fuhr zusammen. Auf ihrem Gesicht lag der sonderbare, unklare, etwas spöttische Ausdruck, der immer darauf entstand, wenn sie an den Arzt dachte. Ich spürte schon die wilde Jagd, die über mich einbrechen, die mich mitreißen würde, sobald sie mich zurückließ.
Doch blieb ich auch nachher noch ziemlich ruhig. Noch sind wir in einer Stadt, dachte ich, noch schlafen wir unter demselben Himmel, noch ist alles möglich.
V
Auf meinem Heimweg über den Cours Belsunce rief jemand aus der Glasveranda des Cafés Rotonde meinen alten Namen.
Ich schrak zusammen wie jedesmal, wenn man mich bei dem echten Namen rief. Und jetzt und immer beruhigte ich mich, daß fast alle Leute hier unter allerlei Namen herumliefen, und sei es auch nur, weil sie ihren Namen in fremde Sprachen übersetzten. Die Gruppe von Menschen, die mir zuwinkte, war mir zunächst ganz fremd. Dann merkte ich, alle winkten, weil Paul winkte. Ich hatte ihn übersehen. Sein Kopf sah hinter der Schulter des Mädchens hervor, das er auf den Knien hielt. Wahrscheinlich war es der Umstand, der an und für sich nicht unwahrscheinliche, für mich aber höchst verblüffende Umstand, daß Paul ein Mädchen auf seinen Knien hielt, der mich blöd dastehn ließ, ohne Wiedererkennen. Das Paulchen hatte Gebrauch gemacht von dem Alkoholtag, seine schwermütigen braunen Augen glänzten, mit seiner dünnen bebrillten Nase stieß er in einem fort in den Hals des Mädchens. Das Mädchen, mit langen hübschen Beinen, mit nettem kleinem Gesicht, schien recht zufrieden mit dieser Art von Zärtlichkeit. Sie fühlte wahrscheinlich bei jedem Schnabelstoß, das Paulchen sei ein mächtiger Mensch, ein verfolgter mächtiger Mensch. Mit der einen Hand faßte das Paulchen das hübsche Mädchen, mit der freien Hand winkte er mir. Ich zögerte. Doch die Menschen am Tisch winkten weiter, nur weil Paulchen winkte. »Mein alter Mitprestataire!« rief Paul, »jetzt Pistolero von Francesco Weidel.« Die übrigen hatten sich ausgewinkt und beguckten mich. Ich setzte mich, obwohl ich fühlte, wie fremd ich an diesem Tisch war.
Es gab außer Paul und dem Mädchen auf seinen Knien hier ihrer noch fünf. Ein kleiner dicker Mann mit einem Doppelkinn, seine ebenfalls kleine und plumpe Frau, die eine Feder am Hut trug; eine junge Person, die so schönwar, daß ich sie noch und noch einmal ansehn mußte, ob sie wirklich so schön war mit ihrem zarten Hals, ihrem goldenen Haar, ihren langen Wimpern. Ich hatte sogar das Gefühl, sie sei in Wirklichkeit überhaupt nicht da, sondern in die Luft gehaucht. Sie war auch völlig reglos. Bestimmt in Wirklichkeit da und gar nicht gehaucht war ein strichdünnes, aber zähes Mädchen mit großem frechem Mund. Sie sah mich weiter von oben bis unten an aus schiefen Augen, den Kopf an den Arm des Freundes gelehnt. Der war ein ausnehmend prächtiger, großgewachsener, aufrechter Bursche, der über uns wegsah mit einem dünnen Lächeln von
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