Transsibirien Express
hatte es nicht mehr nötig, in Zügen zu fahren oder sich die Kundschaft in Hotelhallen zu suchen. Sie war auf drei einflußreiche Männer abonniert, und das genügte ihr vollauf.
Perenilko! Birkenwälder und ein klarer Fluß, einige Naturteiche mit wilden Schwänen, und abends ziehen die Rehe mit ihren Kitzen am Fenster vorbei … Das war der Höhepunkt einer Karriere!
Klaschka hatte nicht nur den festen Willen, sondern auch die begründete Hoffnung, einmal die Nachbarin von ihrer Freundin Lydia Petrowna zu werden.
Klaschka allerdings wollte nicht malen, sondern neue Moden entwerfen. Das war in Rußland zwar ein wenig zukunftsträchtiger Beruf, aber er galt als künstlerisch, und das genügte!
»Ruhe!« sagte Klaschka schlaftrunken, als Forster mit dem Rütteln nicht aufhörte. »Betrieb ist geschlossen! Überlastet nicht die Maschinchen, Genossen!«
»Klaschka, wach auf!« sagte Forster unterdrückt. »Ich bin es, Werner Antonowitsch.«
»Zieh dich aus und leg dich hin.« Sie rückte automatisch zur Wand und machte ihm Platz. »Warum mußt du ausgerechnet am Ende der Nacht kommen, mein Liebling …«
Forster schüttelte sie von neuem und strich mit beiden Händen die vollen roten Haare aus ihrem Gesicht.
Der schwache Lichtschein, der von der Notbeleuchtung im Gang ins Abteil drang, erlaubte gerade, daß er den hellen Fleck ihres Antlitzes wahrnehmen konnte.
»Ich habe sie gefunden, Klaschka. Wach doch auf, Mädchen!«
»Wen hast du gefunden?«
»Die Unbekannte von Swerdlowsk.«
Er setzte sich auf die Bettkante und zog Klaschkas Kopf zu sich heran.
Das Mädchen dehnte sich wohlig, seufzte tief und schlang die Arme um Forsters Hüften. Erst jetzt spürte er, daß sie unter der dünnen Leinendecke nackt lag. Eine feste, glatte warme Haut, kein Pölsterchen Fett, sondern überall strammes Fleisch. Er zog schnell die Hände zurück.
»Wir brauchen deine Hilfe, Klaschka.«
»Ah! Du hast es gefangen, das Vögelchen?«
Die Zug-Dirne des Transsib schien im Dunkeln besser sehen zu können als der Deutsche. Sie richtete sich auf, hob blitzschnell die Hand und gab Milda eine nicht allzu wuchtige Ohrfeige.
»Wie versprochen!« meinte Klaschka. »Weil er immer nur an dich denkt und mich dabei übersieht!«
Danach fragte sie, in ihrer prallen Üppigkeit ohne Scham auf dem Polster sitzend: »Was wollt ihr nun von mir, he? Soll ich sie in meinem Bett verstecken?«
»So ähnlich, Klaschka.«
Forster zog Milda neben Klaschka.
Sie saßen nebeneinander wie Hühner auf der Stange, gegenüber schlief das ältliche Ehepaar, über ihnen seufzte das junge Mädchen im Schlaf. Sie war, wie Klaschka erfahren hatte, Sekretärin der Komsomolzenverwaltung und fuhr nach Irkutsk zu ihrer neuen Arbeitsstelle.
»Ich weiß nicht, wo sie sich versteckt gehalten hat, aber sieh sie dir an. Sie ist fast verhungert. Sie schleicht durch die Wagen und stiehlt sich das Essen zusammen.«
»Es reicht«, sagte Milda leise. »Macht euch keine Mühe um mich. Vor allem bringt euch meinetwegen nicht in Gefahr.«
»Das klingt vernünftig. Sie ist klüger als du, Werner Antonowitsch.« Klaschka kämmte sich mit gespreizten Fingern das brandrote Haar aus der Stirn. »Wo kommst du her, Vögelchen?«
»Ich heiße Milda Tichonowna …«
»Und willst billig nach Sibirien, was? Zu einem Mann, nicht wahr? Ist er Geologe oder Ingenieur? Wo lebt er denn? Diese jungen Dinger … durchqueren die halbe Welt, weil sie Sehnsucht nach einem angewärmten Bett haben! Wenn dich Boris Fedorowitsch entdeckt …«
»Nein! Das darf er nicht …«
»Es wird sich nicht vermeiden lassen«, meinte Klaschka trocken.
»Man muß einen Weg finden, daß sie bei mir im Abteil bleiben kann.« Werner Forster legte den Arm um Mildas Schulter. Er spürte, wie sie noch immer zitterte.
Sie rückte nicht von ihm ab, sie schob seine Hand nicht weg, sondern lehnte sich erschöpft gegen ihn.
Ein Gefühl des Glücks durchrann ihn, eine bisher ungekannte Wärme, in der sein Herz heftig klopfte.
»Wenn ich den Fahrpreis nachträglich für Milda bezahle …«
»Wo bist du denn hier?« Klaschka lachte leise, aber es war ein bitteres Lachen. »In einem D-Zug nach Köln oder Paris, he? Kannst dasitzen und sagen: Schaffner, noch eine Karte erster Klasse bis Wladiwostok? Und Mulanow zückt sein Büchlein und schreibt sie dir aus! So einfach ist das nicht! Er wird wissen wollen, woher Milda kommt und warum sie ohne Billet im Zug ist. Wieso reist ein verhungertes Mäuslein heimlich durch
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