Transsibirien Express
die Taiga? Was will sie dann sagen?«
Sie schob Forster zur Seite und starrte Milda an. »Woher kommst du eigentlich?«
»Das ist eine lange Geschichte, Klaschka.«
»Behalt sie für dich! Ich will sie gar nicht wissen.«
Sie stützte den Kopf in beide Hände und dachte angestrengt nach. Ihr weißer Körper war ein brennender Fleck in der fahlen Dunkelheit.
»Es gibt eine Möglichkeit«, sagte sie endlich. »Aber ob sie es mitmachen wird?«
»Sicherlich, Klaschka. Wenn es Milda hilft …«
»Am logischsten ist die Unmoral!« erklärte Klaschka philosophisch. »Nimm Milda mit in dein Abteil, Werner Antonowitsch, und setze Mulanow, wenn er kommt, auseinander, sie wäre eine Kollegin von mir. Nachwuchs, verstehst du? Ich lerne sie an!«
»Ob er das glauben wird?«
»Warum nicht? Boris Fedorowitsch wird es glauben, wenn sie ihre Prozente bei ihm abliefert. Geld überzeugt immer! Zwanzig Prozent, das ist die Taxe dieses Gauners! Es wird dich viele Rubelchen kosten, Werner Antonowitsch!«
»Das ist mir Milda wert.«
»Hörst du es, mein Schwänchen?« Klaschka lachte wieder. »Seine Seele liegt in heißem Öl! Aber was wird dein Nachbar sagen, dieser widerliche Pal Viktorowitsch? Ich traue ihm nicht.«
»Er muß glauben, was auch Mulanow glaubt.«
Forster drückte Milda an sich. Sie saß still, etwas zusammengesunken und vorgebeugt, und blickte in die Dunkelheit.
»Dein Rat ist gut, Klaschka«, fuhr er fort. »Milda braucht sich nicht mehr zu verstecken, nicht mehr zu stehlen …«
»Und was verlangst du dafür?« Mildas Stimme war jetzt voll kindlicher Angst.
»Was wird er wohl verlangen, ein Kerl wie er?« Klaschka lachte laut. Plötzlich war sie wieder ordinär, der letzte Rest von Schlaf war von ihr abgefallen. »Man muß im Leben für alles bezahlen, Milda Tichonowna. Wenn alles so einfach ist wie das …«
»Sie kennt eben nur eine Sorte von Männern!« Forster unterbrach Klaschka, erhob sich und zog auch Milda von dem Bett. »Du bist mein Gast … weiter nichts!«
Erst jetzt kam ihm zum Bewußtsein, daß sie sich duzten. Ganz selbstverständlich war das gekommen; es war ein Hinübergleiten in die Vertraulichkeit, die bewies, daß sie füreinander plötzlich keine Fremden mehr waren.
Er legte den Arm um Mildas schmale Schulter und zog sie mit sich zur Abteiltür.
»So nicht, meine Lieben!« rief ihnen Klaschka leise nach. »Selbst bei zwanzig Prozent wird Mulanow nicht glauben, daß so ein graues Mäuslein ins Geschäft eingestiegen ist. Gehen wir zur Toilette. Jeder Beruf hat nun einmal sein Plakat – also muß man auch Milda anmalen, wie es sich gehört.«
Nach zehn Minuten kamen Klaschka und Milda aus der Toilette zurück. Forster erkannte die Unbekannte von Swerdlowsk nicht wieder.
Aus dem verschüchterten Mädchen war ein kleines Biest geworden, raffiniert geschminkt, mit hochgesteckten Haaren und einem Mund, der Forster fordernd entgegenleuchtete. Das Gesicht einer schönen, aber kalten Puppe …
Er fand, daß Milda früher besser ausgesehen hatte in ihrer von Traurigkeit überhauchten reinen Jugend.
»Na?« fragte Klaschka stolz. »Wenn sie nun noch andere Kleider hätte, wäre sie bester Nachwuchs. Du wirst Mühe haben, Werner Antonowitsch, die anderen Männer von ihr abzuhalten. Sie werden vor deinem Abteil Schlange stehen wie Hunde vor dem einzigen Baum in der Wüste. Und sie werden die Rubelscheine an das Fenster kleben …«
»Vorher gefiel sie mir besser«, sagte Forster trotzdem.
Milda sah ihn mit ihren großen umschminkten Augen an, und er verstand diesen Blick. Es war ein stummer Dank, und wieder spürte er, daß sie ihm näher war, als er je zu hoffen gewagt hatte.
III
Karsanow schnarchte noch immer wie ein Sägewerk, als die beiden das Abteil betraten und sich auf Forsters Bett niederließen.
Milda hielt ängstlich ihre Hände zwischen den Knien und starrte Pal Viktorowitsch, der wie aufgebahrt auf dem Rücken lag, an.
Forster holte seine Thermosflasche aus dem Gepäck und schraubte sie auf. Am Abend hatte er sie von dem Kellner Fedja mit grusinischem Tee und einem Schuß Rum auffüllen lassen.
Karsanow schien Antialkoholiker zu sein. Er kaufte auf jeder Station zu Blöcken gefrorene Milch, taute sie auf und trank sie mit sichtbarem Genuß. Dafür rauchte er stark, stets diese Papyrossi, die stanken, als brenne man Matratzen an.
»Bitte«, sagte Forster und goß Milda einen Becher Tee ein.
Sie nickte dankbar, trank die dampfende Flüssigkeit mit kleinen durstigen
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