Transzendenz
das Bild im Tank weiterlaufen. Poole und sein Sohn saßen mit gesenktem Kopf nebeneinander. Doch nun schaute Poole zerstreut auf, als suche er etwas in der Luft, eine Störung in seiner Welt, die selbst in diesem schrecklichen Moment auf irgendeine Weise zu ihm durchdrang. Erneut hatte Alia den seltsamen Eindruck, dass er irgendwie wusste, dass sie ihn beobachtete.
Sie machte eine Handbewegung, und das Bild löste sich auf.
Reath kam behutsam näher. »Wie geht es dir?«
Alia runzelte die Stirn. »Es ist, als versuchte ich, mich an einen Traum zu erinnern. Aber je mehr ich mich anstrenge, desto mehr entgleitet er mir.«
»Es war ein übermenschliches Erlebnis«, sagte Reath sanft. »Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Oder es war, als hätte man sie unter Drogen gesetzt, dachte Alia beklommen.
»Du hast die drei Implikationen erfüllt. Du gehörst jetzt zu den Auserwählten, Alia. Du hast den äußeren Kreis der Transzendenz betreten.« Reaths Miene war komplex, voller Stolz und Sehnsucht. »Ich beneide dich.«
»Warum schließt du dich mir dann nicht an?«
Er lächelte traurig. »Ach, das ist unmöglich. Manche von uns können nicht in die Transzendenz eintreten, auch wenn wir uns noch so große Mühe geben.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an den Schädel. »Hier drin fehlt etwas, weißt du? Der Defekt tritt auf Welten überall in der Galaxis auf; er folgt Mustern, die wir nicht erkennen können. Hat er genetische Ursachen? Vielleicht gibt es ja auch subtilere Determinanten des menschlichen Schicksals als die Gene.«
»Das wusste ich nicht. Tut mir Leid.«
»Schon gut. Wir haben unseren Platz, wir Eunuchen. Kennst du diesen Ausdruck? Wir können der Transzendenz auf einzigartige Weise dienen. Wir sind nützlich, weil wir keine Bedrohung für sie darstellen, weißt du?«
Sie machte ein finsteres Gesicht. »Die Campocs hatten Recht.«
»Womit?«
»Sie ist voller Trauer. Die Transzendenz. Deshalb treibt sie die Erlösung voran. Es ist, als werde sie gefoltert… aber ich dachte, all diese Trauer entspränge der Transzendenz selbst.«
»Und das ist nicht so?«
Alia erinnerte sich jetzt; ein Stück ihres traumartigen Erlebnisses wurde klarer. Sie hatte diese tiefen, dunklen Knoten eingefalteter Bewusstheit gesehen, wie Körner in einem Brotlaib. Und aus diesen Körnern sickerte Gift. »Nicht der Transzendenz insgesamt. Sie kommt von den Unsterblichen.«
»Vergiss nicht, dass die Unsterblichen die Vereinigung überhaupt erst initiiert haben. Sie sind die Grundsteine des Gebäudes der Transzendenz. Deshalb formen sie es natürlich. Die Campocs haben Angst vor dem spontanen Bedürfnis nach Erlösung. Aber du hast es jetzt mit eigenen Augen gesehen. Hast du Angst?«
»Vielleicht. Ich weiß nicht genug, um Angst zu haben. Die Transzendenz mag eine Art Gott sein. Doch sie ist schon bei ihrer Geburt ein verwundeter Gott. Ist es nicht vernünftig, davor Angst zu haben?« Und vielleicht, spekulierte sie nun, schlug die Transzendenz irgendwo in ihrem tiefsten, geheimsten Innern bei der Entwicklung ihrer obsessiven Erlösung neue, seltsame Wege ein, die sie erst noch verstehen musste.
»Wirst du dorthin zurückkehren?«, fragte Reath. »Du musst es tun, weißt du. Es ist bestimmt schwer – ich kann es mir nicht einmal vorstellen! Aber die einzige Möglichkeit, damit fertig zu werden, besteht darin, es zu versuchen, zu wachsen…«
»Ich will mehr über die Erlösung wissen«, sagte sie lebhaft. »Vielleicht entdecke ich dabei eine tiefere Wahrheit.« Eine Wahrheit, dachte sie, die vielleicht nicht einmal die Transzendenz selbst kennt. In diesem Fall war es gewiss ihre Pflicht als gute künftige Transzendentin, deren Ichbewusstsein zu steigern.
Reath nickte ernst. »Wenn du so denkst«, sagte er, »müssen wir dich zur Erlösungsmaschine bringen.«
28
Der Staubsturm legte sich, und die Wetterfrösche sagten, wir könnten mit klaren vierundzwanzig Stunden rechnen. Zumindest glaubte ich, dass sie das sagten; die Vorhersagen waren mit unbekannten Symbolen und neuartigem Staubsturm-Jargon durchsetzt. In einem Spanien, das sich allmählich in ein Stück Mars verwandelte, mussten die Meteorologen neue Tricks lernen.
Rosa bot mir an, in dieser klaren Zeitspanne einen Ausflug aus der Stadt zu »einer Art Vorort« zu machen, wie sie sagte. »Mittlerweile ist er das Herzstück meiner hiesigen Mission. Obwohl du ihn auf keiner Karte finden wirst.«
»Wie heißt er?«
Sie spendierte mir ein paar Brocken
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