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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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Wahnsinn, was?«
    Wir saßen einen Moment lang da. Dann streckte ich die Hände nach ihr aus, und auf einmal lag sie in meinen Armen, warm und real.
    Ich glaube, ich verlor das Bewusstsein.

 
     

 
47
     
     
    Sonia ragte über mir auf. Sie war dreckverkrustet und blutete aus einer Stirnwunde, und sie presste sich den rechten Arm gegen den Bauch. »Hören Sie mich, Michael?«, brüllte sie. »Können Sie sich bewegen?«
    Ich setzte mich mühsam wieder auf. Die Welt wurde eine Sekunde lang grau. Sonia langte mit ihrem gesunden Arm zu mir herunter und versuchte mir aufzuhelfen, aber sie zuckte zusammen. Ich rappelte mich unsicher hoch. Noch nie hatte ich mich so alt, so kraftlos gefühlt.
    Ich stützte mich auf Morag. Ich stützte mich auf sie!
    Sie war schon immer stark gewesen, aber jetzt fühlte sie sich sehr massiv an, wie ein Pfeiler aus Stein. Sie trug einen schlichten weißen Overall, eines jener praktischen Kleidungsstücke, die sie stets bevorzugt hatte. Aber ihr Overall war mit Schlamm beschmiert und mit Blut bespritzt, dem Blut von jemand anderem, und ihr rotblondes Haar wurde vom Wind zerzaust. Sie war jetzt eingebettet in die Welt. Irgendwie war sie zurückgekommen: kein Geist diesmal, keine flüchtige Vision im Augenwinkel; sie war hier.
    »Du bist real«, sagte ich.
    Sie schaute an sich hinab. »Real?«
    »Du bist wieder in der Welt.« Ich berührte einen Schlammspritzer an ihrer Wange. »Das warst du vorher nicht. Jetzt bist du es.«
    »Sieht so aus, nicht wahr? Wie seltsam.«
    Plötzlich schwirrte mir der Kopf von Fragen und Dingen, die ich ihr schon seit siebzehn Jahren sagen wollte. Doch hinter meinen Augen hockte selbst in diesem Moment eine einzige Erinnerung – nämlich daran, was John mir über ihre Affäre erzählt hatte, ein Körnchen Schmerz.
    Allmählich nahm ich die anderen wahr, Shelley, John,Tom. Sie sahen alle ramponiert und schmutzig aus, hatten aber keine sichtbaren schweren Verletzungen davongetragen – niemand außer Sonia, die sich trotz ihres lädierten Arms um uns kümmerte. Sie schien als Einzige von uns einen klaren Gedanken fassen zu können. Vermutlich machte sich da ihre militärische Ausbildung bemerkbar, und ich war dankbar dafür.
    Die Menge war sogar noch größer als vor der Explosion, dachte ich. Ingenieure und VIPs, mit Schlamm und Blut besudelt, liefen herum oder saßen im Schmutz. Die VR-Gäste waren bei der Explosion natürlich unversehrt geblieben. Sie wandelten wie glitzernde Geister über das Schlachtfeld, in das unsere Veranstaltung sich verwandelt hatte; einige von ihnen hielten sogar einen Drink in der Hand. Ich fragte mich, ob wir ein paar Besucher hatten, die vor der Explosion noch nicht hier gewesen waren – ein Phänomen unserer von Katastrophen geplagten Zeit: Flaschenhals-Freaks nannte man sie, Katastrophentouristen.
    Alle starrten Morag an.
    Toms schmutziges Gesicht war eine Maske aus Schmerz und Verwirrung. »Dad…«
    Ich verspürte ein leises Schuldgefühl, weil es mir nicht gelungen war, ihm diesen Schock zu ersparen. »Später. Wir kommen schon irgendwie damit zurecht.«
    Etwas von seinem trockenen Zynismus kehrte zurück. »Tja, es gibt eine Menge, worüber wir reden müssen, nicht wahr?«
    Sonia tippte sich ans Ohr; vielleicht bekam sie über ihre Militärimplantate Informationen. »Okay. Die Security von EI bekommt die Dinge allmählich in den Griff. Makaay und Barnette sind tot. Viele Opfer auf der Bohrinsel. Die Leute von EI leisten gute Arbeit, aber sie befürchten Folgeangriffe. Und sie hoffen, dass sie die VR-Anlagen abschalten können, damit wir die Flaschenhals-Freaks loswerden.«
    »Was ist mit der Polizei, den Behörden?«
    »Sehen Sie selbst.« Sie zeigte hin.
    Rings um die Standfläche des zerstörten Zelts wimmelte es von Polizisten und Militärs, und als ich allmählich das Gehör wiedererlangte, bemerkte ich das Dröhnen von Fahrzeugmotoren und das Rattern von Hubschrauberrotoren. Sie mussten ohnehin bereitgestanden haben, um diese VIP-gesättigte Veranstaltung zu schützen, aber bisher hatten sie sich unauffällig im Hintergrund gehalten; nun schienen sie einfach aus der Tundra zu wachsen.
    Sonia führte uns vom Zelt weg. »Die Polizei von Alaska nimmt die Sache hier vorläufig in die Hand. Sie wollen uns fünf von hier wegbringen…«
    »Uns sechs.« Ich packte Morag am Arm. Komme, was wolle, ich würde mich nicht von ihr trennen lassen.
    »Also gut, sechs. Der Zeltbereich und die Bohrinsel werden als Tatort gesperrt. Uns

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