Trantüten von Panem
in den Spiegel blicke. Jetzt bin ich keine gewöhnliche Mumie mehr, sondern eine Kriegermumie. Der Kochtopf ist mein Helm. »Oh, Penna«, bringe ich endlich benommen hervor. » Vielen, vielen Dank!«
»Das Interview wirst du spielend hinter dich bringen«, versichert er mir. »Du musst nur du selbst sein.«
Nur ich selbst? Das ist zwar auch nicht idiotensicher, aber immerhin besser als Edelkitschs Plan. »Ich werde es versuchen«, verspreche ich Penna.
Es ist an der Zeit. Das Interview wird vor einem Live-Publikum übertragen. Die anderen Tribute und ich werden auf die Bühne gedrängt und müssen auf einem langen Sofa Platz nehmen. Caesarsalad B. Körner, der Moderator, der schon seit zwanzig Jahren durch die Sendung führt, tritt zu uns. Er ist Furcht einflößend. Seine Haare sind ein greller Mix aus gebleichten weißen und gefärbten grauen Locken. Im Kapital gibt es Schönheitschirurgen, die einen wie ein Ungeheuer aussehen lassen, 8 und Caesarsalad B. Körner hat ein kleines Vermögen für ein Kinn bezahlt, das so lang ist, dass es beinahe seine Brust berührt. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, warum auch nur ein Mensch im Kapital eine solche Fratze auf dem Bildschirm sehen möchte, aber aus irgendeinem Grund gilt er als echter Erfolgsgarant.
8 Und nicht etwa wie Stanley Tucci. Caesarsalad B. Körner hat mit Stanley Tucci so viel Ähnlichkeit wie, sagen wir, Präsident Schneeflöckchen mit Donald Sutherland oder Edelkitsch mit, äh, dem Typen aus Natural Born Killers .
»Vielen Dank«, beginnt Caesarsalad seine Einführung. »Sie dürfen es sich ruhig bequem machen, denn vor Montag kommt hier keiner raus!«
Die nächsten sechs Minuten sind die schlimmsten meines Lebens.
»Ich weiß nicht viel über die Hungerspiele«, witzelt Caesarsalad und tätschelt seinen Bauch. »Aber ich bin Favorit, wenn es darum geht, die Essensspiele zu gewinnen!« Während das Publikum sinnlos lacht, sehe ich mich auf der Bühne nach einer Waffe um. Ich muss dem ein Ende machen. Für Prin. Ich stelle mir vor, wie sie zu Hause vor dem Bildschirm sitzt und sich dieses Geschwätz ansehen muss. Bei dem Gedanken wird mir speiübel. Aber hier gibt es keine Waffen. Ich muss wohl oder übel sitzen bleiben und alles über mich ergehen lassen.
»Meine Frau wünscht sich manchmal, dass ich ein Nichtsprech wäre«, fährt Caesarsalad fort. »Denn dann könnte ich endlich keine Bemerkungen mehr über ihre Kochkünste machen!« Er mimt einen Nichtsprech, indem er wild mit den Händen gestikuliert und so tut, als ob er an dem Essen seiner Frau ersticken würde. Wenn Carola jetzt hier wäre, würde er mein Herz mit einem Pfeil durchbohren, um mich von meinen Qualen zu erlösen. Aber Carola ist nicht hier. Ich denke mit Schaudern daran, was er jetzt wohl durchmacht, während auch er sich Caesarsalads Gequatsche anhören muss.
Ich bin kurz davor, ohnmächtig zu werden, als Caesarsalad eine Werbepause einlegt. Kaum sind wir wieder auf Sendung, fangen die Interviews an. Ich brauche eine Weile, um mich von den Witzen zu erholen, und als ich die Augen wieder aufmache, ist Caesarsalad schon beim Tribut aus Distrikt 3 angekommen, dem Distrikt für moralische Skrupel. Er ist ein nachdenklicher, belesen wirkender Junge, der seine Worte sorgfältig wählt und sämtliche Hoffnungen darauf setzt, sich an Sunzis Die Kunst des Krieges zu halten. Obwohl er große Schwierigkeiten habe, über die ethischen Spannungen des Werks hinwegzusehen. Die Skrupel-Tribute schneiden für gewöhnlich besonders schlecht bei den Hungerspielen ab.
Ich sitze so da, wie eine Dame zu sitzen hat – genau nach Edelkitschs Anweisungen –, während Caesarsalad einen Tribut nach dem anderen befragt. Sie schlagen sich alle nicht schlecht, was mich noch nervöser macht. Karl-Theodor Gatsby Rockefeller CCXLIV ., dem Tribut aus Distrikt 6 – dem Distrikt des alten Geldadels –, machen die Kameras überhaupt nichts aus. Hochnäsig erzählt er Caesarsalad, dass die Hungerspiele nichts anderes seien als eine schöne Fuchsjagd und sein Vater schon die notwendigen Schritte einleiten würde, falls ihm etwas passieren sollte. Als ihn Caesarsalad darauf hinweist, dass seine drei Minuten bereits vorbei sind, droht Gatsby damit, ihn zu entlassen.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Efi mir zuwinkt. Sie scheint mir unbedingt etwas mitteilen zu wollen. Ich sperre die Ohren weit auf und lausche: »Des war amoi a gscheida Tribut, ned imma so a Gschwerl!«, flüstert sie mir zu. Ich rolle mit
Weitere Kostenlose Bücher