Trantüten von Panem
den Augen.
Selbst Radi, das Baby aus Distrikt 11, schlägt sich mehr als wacker. Die ersten zwei Minuten kichert sie vor sich hin und zeigt auf die Bühnenbeleuchtung. Extrem putzig. Dann wirft es alle vom Hocker, als sie ihr erstes Wort sagt: Ketchup . Und das live im Fernsehen! Das Publikum belohnt es mit stürmischem Beifall. Ach, wenn ich nur ein Baby wäre. Dann würde ich die gleiche Strategie anwenden: Kichern und das erste Wort. Ich wette, die meisten Sponsoren ziehen das Baby jetzt zumindest in Erwägung.
Haudrauf, der riesige Tribut aus Distrikt 11, geht die Sache anders an. »Training guuut «, grunzt er, schnappt sich Caesarsalad und hebt ihn in die Luft. Ehe irgendjemand ihm erklären kann, dass die privaten Trainingseinheiten vorüber sind, wirft er Caesarsalad ins Publikum und kehrt dann auf seinen Platz zurück.
Jetzt bin ich an der Reihe. Caesarsalad klopft sich Staub und Schmutz vom Anzug und meint: »Zum letzten Mal bin ich so tief gefallen, als ich die Zuschauerquoten der letzten Saison erfahren habe!« Das Publikum johlt und klatscht erneut begeistert, und mir wird wieder schlecht. Ich werde ihm gleich gegenübersitzen, noch nicht einmal ein Meter wird uns trennen, und es wird mir unmöglich sein, seine Witze zu ignorieren.
»Also, Kantkiss«, beginnt Caesarsalad und wirkt auf einmal ernst. »Was hältst du vom Kapital?«
Ich habe einen Blackout. Verzweifelt suche ich das Publikum nach Penna ab. Da ist er. Ich lese seine Lippen: »Sei ehrlich«, sagt er ermutigend und streckt mir beide Daumen entgegen.
»Nun …« Der Anfang ist gemacht. »Natürlich hasse ich das Kapital. Mein ganzes Leben lang hat es mich und meine Familie unterdrückt. Wir müssen in Armut leben, es hat meinen Vater umgebracht, und jetzt verlangt es von mir, bis auf den Tod gegen andere Kinder zu kämpfen. Es ist ganz einfach völlig scheiße.«
Die Worte kommen aus meinem Mund, ehe ich sie aufhalten kann. Ich schlucke. Jetzt bin ich zu weit gegangen – kein Zweifel. Dabei hörte sich Pennas Rat doch so vernünftig an!
Caesarsalad und das Publikum starren mich verwirrt an. Ich erwarte, dass man mich jeden Augenblick in ein Kapital-Gefängnis werfen und wegen Anstiftung zur Revolution foltern wird. Vielleicht habe ich ja auch Glück, und sie machen mich nur zu einem Nichtsprech, statt mich umzubringen. Ich bete nur, dass sie meiner Familie nichts antun.
Aber als Caesarsalad endlich den Mund öffnet, macht er einen eher amüsierten als wütenden Eindruck. »Wie bitte, Mumie? Was hast du gesagt? Ich habe durch dein unheimliches Kostüm kein Wort verstanden!« Ich hole tief Luft. Penna hat mich wieder einmal gerettet.
»Das erinnert mich an eine Flugreise mit der Egyptian Airways«, fährt Caesarsalad fort. »Darf ich euch mit einer Geschichte langweilen?«
Ich schüttele wild entschlossen den Kopf und gebe die furchterregendsten Kriegermumiengeräusche von mir. Doch es hilft alles nichts. Das Publikum will mehr. Es ist ganz scharf auf Caesarsalads Anekdote. Er legt mit seinen standardmäßigen Witzen über das Essen an Bord los und fügt eine ganz neue Wendung darüber hinzu, wie er bei der Sicherheitskontrolle seine Schuhe ausziehen musste, nur um sie wegen seiner stinkenden Käsefüße sofort wieder anzuziehen. Während ich die Nummer über mich ergehen lasse, schwöre ich mir, niemals Kinder zu haben. Nur ein Monster würde ein Kind in eine Welt setzen, in der solche grauenvollen Witze erzählt werden.
Aber es gibt auch etwas Gutes an Caesarsalads Geschichte: Sie dauert so lange, bis meine Interviewzeit vorüber ist. Als ich zurück zu meinem Platz gehe, sehe ich, wie Edelkitsch wutentbrannt einen Wettzettel in der Luft zerreißt und ein Schimpfwort nach dem anderen von sich gibt. Ich habe vergessen, sechsmal zu husten.
Jetzt ist Pita an der Reihe. Von Anfang an hat er das Publikum auf seiner Seite, indem er jeden in der ersten Reihe in ein Gespräch verwickelt. Endlich schafft es Caesarsalad, ihn wieder zum Hinsetzen zu überreden, tut sich aber sehr schwer, Pita zu interviewen, denn dieser überschüttet ihn mit seinen eigenen Fragen.
Er zeigt aufrichtiges Interesse an Caesarsalads Leben und erkundigt sich höflich nach dessen Familie, Gesundheit und seinen Hobbys.
»Dann verrate mir doch bitte«, reißt Caesarsalad endlich das Ruder an sich, nachdem er eine Unzahl von Fragen über seine Luftkissenfahrzeugsammlung über sich ergehen ließ, »ob du zu Hause im Distrikt 12 eine Freundin hast.«
Pita stöhnt.
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