Trantüten von Panem
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10 Diese Strophen stammen aus der traditionellen Ballade »Das Spitzbubenparadeis«, die heute zu Recht in Vergessenheit geraten ist.
Meine letzten Worte an Radi lauten: »Radi, jetzt stirb endlich.« Das tut sie dann auch – in meinen Armen. Äh, nicht wirklich, sie stirbt auf dem Boden, aber ich nehme sie rasch hoch, damit ich behaupten kann, sie sei in meinen Armen gestorben. Versteht mich nicht falsch, ich würde alles tun, um sie wieder zum Leben zu erwecken. Aber es ist einfach cool, behaupten zu können, jemand sei in deinen Armen gestorben.
Eine traurige Posaune – die traurigste bisher – ertönt vom Himmel. BAWOMM BAWOMM . Ich trete von Radis Leiche zurück, damit sie das Luftkissenfahrzeug abholen kann, ehe die anderen Tribute auftauchen und meine wunderschöne Blütenkunst ruinieren. Hastig verstecke ich mich in der Nähe, um Radi auf ihrem letzten Weg beobachten zu können. Das Fahrzeug schwebt vom Himmel herab. Als die Türen aufgehen, höre ich wieder die zwei Stimmen in seinem Inneren.
»Da hast du recht. Hundertprozentig.«
»Danke. Ich wünschte nur, dass Jennifer das auch so sehen würde.«
»Oh, das wird sie. Du darfst nicht vergessen, dass du deine gesamten Ersparnisse in das Restaurant steckst. Kein Wunder, dass sie ab und zu ein bisschen nervös ist.«
»Sie sagt zwar, dass sie Angst um unser Geld hat, aber das hindert sie noch lange nicht daran, jede Woche mit einem neuen Paar Schuhe aufzutauchen.«
»Pass auf, du musst ihr nur klarmachen, dass unterm Strich du derjenige bist, der …«
Die Tür schließt sich wieder. Das Luftkissenfahrzeug steigt langsam auf und saugt Radis Leichnam in die Luft. Radis Zeit bei den Hungerspielen ist zu Ende. Ich bin stolz, dass meine Verbündete so tapfer und mutig im Kampf gefallen ist.
Mir ist klar, dass in diesem Moment jede Kamera in Panem auf mich gerichtet ist. Ich streiche meine Haare zurück und ziehe mir so unauffällig wie möglich den Schlüpfer zurecht.
Dann blicke ich auf und sehe einen winzigen silbernen Fallschirm mit einem Geschenk für mich. Im Gegensatz zu Radi schafft es der Fallschirm, sich nicht in den Bäumen zu verheddern. Ich reiße das Geschenkpapier auf und öffne die Schachtel. Das Erste, was mir ins Auge springt, ist eine Karte, auf der »Distrikt 11« geschrieben steht. Ach, wie nett. Als ich das Geschenk weiter auspacke, merke ich, dass es eine tickende Zeitbombe ist! Ich habe keine Ahnung, was ich mit einer Bombe anstellen soll, aber schließlich ist es der gute Wille, der zählt. Die netten Menschen aus Distrikt 11 haben mir diese Bombe sicher aus Dank dafür geschickt, dass ich für Radi eine so gute Verbündete war. Natürlich hoffen sie insgeheim, dass ich sie dazu benutzen werde, die anderen Tribute umzubringen. Aber da niemand in der Gegend ist, werfe ich sie in den Teich. Als sie explodiert, tauchen Tausende von Fischen mit dem Bauch nach oben an der Oberfläche auf.
Plötzlich ertönt eine Stimme aus dem Himmel. Das ist Greg, der Ansager. »Aach Tribue könn jes no die Hungaspie winnen«, ruft er aus.
Kurz darauf meldet sich sein Supervisor. »Acht Tribute können jetzt noch die Hungerspiele gewinnen«, wiederholt er.
Ich zähle nach. Jetzt, da Radi der Vergangenheit angehört, sind noch acht von uns übrig. Ich, Gerd, Mandy, Haudrauf, Mopsgesicht, das Mädchen aus Distrikt 8, der Junge aus Distrikt 9 und Pita. Das bedeutet also, dass wir alle überleben! Super!
»Kleiner Witz zwischendurch«, klärt der Supervisor uns auf und lacht sich dabei halb tot. »Natürlich könnt ihr nicht alle gewinnen. Aber wir haben entschieden, dass zwei Tribute die Hungerspiele gewinnen können. Und jetzt macht endlich mit dem Töten weiter!«
Sofort muss ich an Pita denken. Ich schnuppere dem Brotgeruch hinterher. Hm … Der Windrichtung nach zu urteilen muss ich nach Westen. Wenige Minuten später stoße ich auf eine Brotkrumenspur. Wenn ich der folge, werde ich garantiert auf Pita treffen.
Teil 3
Das Ende
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Mir schwirrt nur ein Gedanke durch den Kopf: Woher hat Pita die Zutaten, um in der Arena ein so fantastisches Brot zu backen? Ich folge den köstlichen kleinen Krumen und stecke jede einzelne in meinen Mund, um sicherzugehen, dass sie wirklich auch alle von demselben Roggenbrot stammen, dessen köstlicher Duft mich bereits den ganzen Nachmittag begleitet. Das geht stundenlang so, und trotz des einen oder anderen Kieselsteins, den ich als Brotkrume gedeutet habe und der verheerende Auswirkungen auf meine
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