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Trapez

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Titel: Trapez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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der Jüngling, würden eher sterben, als vor den Augen des anderen etwas Unehrenhaftes zu tun.‹« Er lächelte Tommy an und sagte: »Aristoteles. Vielleicht hast du von ihm im Geschichtsunterricht in der Schule gehört. Aber ich wette, das haben sie nicht unterrichtet.«
    Tommy schüttelte den Kopf. Etwas wuchs in ihm, was beinahe ein Schmerz war. Irgendwo tief in seinem Inneren wu ss te er, dass Mario das Beste in ihm zum Vorschein brachte, ihn zu Stärke und Mut inspirierte und ihn zwang, immer noch ein bi ss chen mehr aus sich herauszuholen. Er sagte flüsternd: »Das ist richtig. Das ist so richtig, Mario.«
    »Ja, nicht? Nur, es ist nicht hier und jetzt. Tommy, möchtest du was trinken? Es ist keine Spielzeit, also macht es nichts. Es ist bloß , äh, symbolisch; ich – ich möchte mir dir was trinken.«
    Tommy fühlte, wie sich die gewohnte, schmelzende Geschmeidigkeit in ihm ausbreitete. »Klar, was du willst.«
    Mario ging zu dem Eckregal und nahm eine Flasche herunter. »Es ist bloß Rotwein, wie Lu ihn zum Abendessen hat. Ich rühre nie was anderes an. Das einzige Mal, dass ich mal was Hartes getrunken habe, da bin ich im Gefängnis gelandet. Das erzähl ich dir mal eines Tages.«
    Er nahm ein paar saubere, kleine Gläser vom Regal und go ss in jedes feierlich etwas Wein. Er gab eins davon Tommy, und sie standen da und sahen sich für eine Weile an.
    »Na?« sagte Mario schließlich fast flüsternd: »Haben wir einen Trinkspruch? Auf uns? Auf eine gute Saison?
    Auf das, wofür die Griechen ein Wort hatten?«
    Er machte sich darüber lustig, um sein Gefühl zu verbergen, aber er hatte den altbekannten, sanften Blick in seinen Augen. Und Tommy fühlte sich, als ob er sachte umgekrempelt wurde.
    Er lachte und wollte das durchbrechen. »Ich hab’ einen Trinkspruch für dich, okay? Wie wär’s mit: ›Halten wir es von der Plattform fern‹?«
    Sie tranken und lachten sich an. Mario nahm Tommys Glas und legte einen Arm um ihn.
    » Weißt du, ich werde aus den Leuten nicht schlau, besonders aus Angelo. Johnny und Stel kriegen Schwierigkeiten, und Stel stirbt fast daran, und was ist Angelos erste Reaktion? Er schleppt sie zu einem Priester und sorgt dafür, dass sie glücklich bis in alle Ewigkeit leben.
    Und hier sind wir, du un d ich, machen überhaupt nieman dem Ärger, und wir sind glücklicher, als es die meisten Leute je schaffen werden, und wenn Angelo das rausbekäme, würde er uns fast umbringen und dafür sorgen, dass ich im Gefängnis lande und du in eine Besserungsanstalt geschickt wirst. Kannst du das verstehen?«
    »Ich versuch’s gar nicht erst.« Tommy nahm das Glas aus Marios Hand und setzte es auf dem Bett ab, aber es rollte auf den Fußboden . Es bewegte sich dort leise hin und her und kam schließlich zur Ruhe, unbemerkt.

KAPITEL 20

Die Flure im Haus der Santellis waren ruhig, als Mario und Tommy früh am nächsten Nachmittag ankamen.
    Nachdem Mario Tommy geholfen hatte, seine Sachen in das Zimmer zu bringen, das dieses Jahr wieder seins sein sollte, gingen sie hinunter in den Übungsraum.
    Der gewohnte Geruch des Raumes nach Bohnerwachs, Metallpolitur und Staub regte in Tommy das seltsame Gefühl der Heimkehr. Die schaukelnden Trapeze warfen schwache, helle Schatten auf den Fußboden . Angelo, der am Fuß der Luftleiter stand, drehte sich um und winkte ihnen schnell zu. Tommy bemerkte, als er seine Schuhe auszog, dass Angelo die Seile eines Haltegurts hielt. Die Seile liefen durch eine Rolle an der Decke und hinunter durch die Karabinerhaken an dem Ledergürtel, den Liss auf der Plattform um ihre Hüfte befestigte. In einem verblichenen, geflickten Trikot, ihr Haar zum Zopf gebunden und zurückgeworfen, stand sie mit einem Arm um das Seil und runzelte vor Konzentration die Stirn, als sie einhändig mit den Schnallen hantierte. Neben ihr stand eine kleine dunkle Frau in einem enganliegenden Overall.
    Tommy erkannte sie nic ht, bis sie sich umdrehte. Aber Mario starrte und rief dann: »Lucia, was hast du denn jetzt vor?«
    Sie lachte. »Ich werde ungeduldig! Ich bin das alte Zirkuspferd , das weitertraben mu ss … hat mit Tommy alles geklappt?«
    »Klar, er ist hier bei mir«, sagte Mario. Sie sah ihn und winkte. Tommy winkte zurück und erinnerte sich mit Schrecken, dass sein Bus, was die Familie betraf, gerade angekommen war. Die vergangene Nacht existierte nicht.
    Er dachte, verdammt, warum muss es so sein? Aber hier im Übungsraum flackerte der Gedanke nur kurz in ihm auf und

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