Trapez
– da war wirklich die Kacke am Dampfen, Junge! Niemand im Haus hatte dich gesehen. Wir haben dich als vermi ss t gemeldet, aber sie haben uns gesagt, dass du alt genug wärst und niemand dich finden könnte, außer wenn du gefunden werden willst. dass Millionen Kinder in deinem Alter jedes Jahr von der Bildfläche verschwinden. Wir haben bei der Polizei nachgefragt und in den Krankenhäusern in der ganzen Stadt. Aber dann gab es nichts mehr, was wir tun konnten. Da hast du den Leuten ganz schön was zugemutet, Tommy. Lucia ist fast verrückt geworden!«
Tommy nahm einen gebratenen Shrimp an seinem
Schwanz hoch und stocherte damit im Ketchup herum und starrte ihn nachdenklich an. Tauchte ihn wieder ein und ließ ihn schließlich unangerührt auf den Pappteller fallen. Er sagte: »Ja, ich weiß , ich bin nicht sehr stolz darauf. Ich war ein dummer, kleiner Rotzbengel.«
»Ja, Mensch, wir haben uns Vorwürfe gemacht, dich bei Matt wohnen zu lassen«, sagte Joe. »Niemand außerhalb der Familie sollte sich mit seinen verkorksten Launen rumschlagen müssen. Ihr zwei seid bloß immer so gut miteinander ausgekommen. Und dann geht so was in die Brüche! Besonders Angelo. Er hat sich Vorwürfe gemacht. Er hat es wirklich ernstgenommen, dein Vormund zu sein und das alles.«
»Ich weiß «, murmelte Tommy. »Ich fühl mich auch beschissen. Ich hab’ Lucia eine Weihnachtskarte geschickt
– ich dachte, ich sage ihr, dass es mir gutgeht. Zu der Zeit war ich im Rekrutenlager.«
»Na ja, das ist jetzt alles Schnee von gestern«, sagte Joe. »Was machst du hier draußen , Tommy?«
Tommy hob die vergessene Shrimp auf und bi ss hinein.
Schließlich sagte er: »Ich dachte, ich frage mal, wo Mario – wo Matt arbeitet. Ich würde ihn ganz gerne wiedersehen. Ich glaube, ich muss mich bei ihm entschuldigen.«
»Mein Gott, weißt du es denn nicht?« fragte Joe und sagte dann: »Nein, woher auch? In der Armee in Übersee, kein Grund, mit den Zirkus-Neuigkeiten auf dem Laufenden zu bleiben …«
Tommy fühlte, wie sich der altbekannte Knoten der Furcht in seiner Brust zusammenballte. »Es – es geht ihm gut, nicht? Er ist nicht – nicht tot oder so was?«
Joes Worte schienen wie durch ein Klingeln zu seine Ohren zu dringen, von sehr weit weg. »Nein, er lebt, soweit wir wissen. Bloß wir wissen nicht wo, das ist es eben. Hast du Billboard gesehen?«
»Nicht seit ich zur Armee gegangen bin.«
»Warte eine Sekunde!« Joe stand auf, ging einen schmalen Gang entlang, verschwand hinter einer Budentür und kam schließlich mit einer Ausgabe von Billboard in seiner Hand zurück. Er öffnete sie, gab sie Tommy mit aufgeschlagener Seite und zeigte mit seinem Finger auf eine kleine Anzeige.
»Diese Anzeige hat Lucia jetzt seit vier Jahren drin, und es hat kein bi ss chen genützt.«
Er zeigte mit einem knubbeligen Finger auf die Spalte –
Persönlich – , und als Tommy las, verschwamm es vor seinen Augen:
Matthew Gardner Jr. alias Mario Santelli. Jeder, der weiß , wo er sich aufhält, bitte mit Lucia Santelli-Gardner in Verbindung setzen. Und die bekannte Adresse.
»Sie hat es vor vier Jahren aufgegeben«, sagte Joe.
»Nachdem Matt den schlimmen Sturz hatte, es war in dem gleichen Jahr, in dem Nonna gestorben ist, in dem Frühling, um Ostern herum…«
»Warte«, sagte Tommy, »ich muss erst aufholen. Er war Hauptattraktion bei Starr, das wu ss te ich, ich hab’ ihn und Lionel einmal in der Manege gesehen. Ich war gerade aus dem Rekrutenlager gekommen, und sie spielten zehn, zwanzig Meilen von mir entfernt.«
Er hatte mit verkrampften Händen in der Dunkelheit zugesehen, als Mario sich mit sekundengenauer Perfektion in Lionels Hände drehte. Ein perfekter Dreifacher. Er wäre fast hinuntergegangen, um mit Mario hinterher zu sprechen und sich unbemerkt durch den ungewohnten Hof durchzufinden. Überall auf dem Platz waren Besucher in Uniform. Nur der Anblick von Mario und Lionel, als sie Arm in Arm die Manege verließen , hatte ihn aufgehalten. La ss es dabei Es ist vorüber. Vorbei.
»Ja, er war zwei Jahre bei Starr«, sagte Joe. »Nein, anderthalb Jahre. Willst du noch ein Bier, Tommy? Nein?
Na ja. Anfang der zweiten Saison waren er und das Mädchen in dem Akt, Matts Frau …«
»Er hat geheiratet?« Das war unglaublich.
»O sicher«, sagte Joe. »In seiner ersten Saison bei Starr. Sie haben den Winter bei uns verbracht. Ihr Baby wurde in dem Winter geboren. Auch ein nettes Mädchen.
Wir haben sie alle gern gehabt.
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