Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
stabiler werden – die äußeren Lebensbedingungen sichern, sich Unterstützung in guten Freundschaften und einer tragfähigen Partnerschaft suchen; zur Therapeutin Vertrauen fassen lernen und dann auch die eigene Persönlichkeit kennen- und koordinieren lernen. Zwischendurch aber und in einem weiteren Stadium gilt es zu lernen, das Traumamaterial (die belastenden Erinnerungen, Schmerzzustände, Alpträume etc.) in ausreichende Distanz zu bekommen. Danach erst ist es manchmal – keineswegs immer – möglich, die Traumageschichte durchzuarbeiten, wenn die Persönlichkeit stabil genug dazu ist. Dadurch schließlich wird die Integration der Erfahrungen in die eigene Identität und Biografie gefördert, zu der auch die Trauer über die schlimmen Erfahrungen und deren Auswirkungen gehört. Bei Traumatisierungen im Erwachsenenleben kann das schnell gehen, und dann gilt es, an die frühere Lebensfreude wieder anzuknüpfen.
Wer aber eine Kindheit voller Gewalt hinter sich hat, wird dann überhaupt zum ersten Mal lernen, was für ein Leben „da draußen“ wartet, wenn man nicht mehr unter dem Bann der Traumageschichte steht. Oder wie es eine über viele Jahre ihrer Kindheit und Jugend gequälte Klientin einmal zu mir sagte: „Nun stehe ich an der offenen Käfigtür – und jetzt hab ich Angst, da rauszugehen!“
Auch die „Angst, da rauszugehen“ überwinden zu lernen kann also – wie alle anderen Stadien auch – bei lange Zeit traumatisierten Menschen eine ganze Weile dauern. Übrigens hat diese Klientin wie viele andere, die ich begleiten durfte, inzwischen ein Leben, das sie sich fast 30 Jahre nicht einmal im Traum hätte ausmalen können. Sie schreibt mir immer wieder einmal eine E-Mail oder eine Karte aus dem Urlaub, und meist lautet die Botschaft: „Tatsächlich – es geht mir (immer noch) gut. Klar habe ich Probleme, aber mit denen werde ich fertig!“
Was können Gewaltüberlebende tun?
Es würde mich sehr freuen, wenn dieses Buch über die Entstehung und die Folgen von Traumata ebenso wie der Nachfolgeband über Traumabehandlung möglichst viele Betroffene dazu anregt, sich eine adäquate Behandlung zu suchen. Hierzu mein Rat an Gewaltüberlebende: Wenn Sie Ihr Symptom loswerden wollen, das mit der Traumatisierung verbunden ist, prüfen Sie genau, ob Sie bereit sind, den Schmerz durchzustehen, der es bedeutet, die Gewalterfahrung zu integrieren. Denn viele kommen in Behandlung und sagen zur Therapeutin sinngemäß: „Machen Sie das weg!!“ Tatsächlich kann Traumatherapie aber nichts „wegmachen“. Wir sind keine Psychochirurgen. Sondern wir können dabei behilflich sein, die durch die Traumatisierung verursachte Stressverarbeitungsstörung zu lindern, die Traumatisierung in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren, sie zu „verschmerzen“ und zu betrauern – und auf diese Weise die Symptome zu mildern und im besten Fall ganz zum Verschwinden zu bringen. Traumatherapie hat also ihren Preis; die „Realisierung des Traumas“, wie Pierre Janet sagte, der als Erster viel zu diesem Thema geforscht hat.
Prüfen Sie also zunächst, ob „Sie es so genau wissen wollen“, oder ob Sie nicht doch lieber mit Ihrem Symptom weiterleben wollen. Nicht alle Menschen sind von ihren äußeren Lebensbedingungen her dazu in der Lage und/oder mental so stark, dass sie ihre Wahrheit der vergangenen traumatischen Ereignisse integrieren können. Um dann ihre unglückliche Lebensgeschichte auch loszulassen und schließlich kein Opfer und keine Überlebende mehr zu sein – zwei Begriffe, die für viele Menschen geradezu identitätsstiftend sein können. Können Sie sich vorstellen, „nicht mehr Opfer“ und „mehr als Überlebende“ zu sein? Was wären Sie dann? Es ist gut, sich schon vorher darüber ein paar Gedanken zu machen, damit Sie ein Ziel vor Augen haben.
Solange Sie jedoch noch in traumatisierenden Lebensumständen sind, sollten Sie keine Traumakonfrontation unternehmen. Sie brauchen erst sichere Lebensbedingungen. Und Sie brauchen einen eisernen Willen: „Ich will da raus, will da durch.“ Es wird nicht leicht, aber es lohnt sich. Mein Tipp: Suchen Sie sich auch für den Ausstieg aus gewaltvollen Verstrickungen eine Begleitung, vielleicht zunächst in einer Beratungsstelle. Traumatherapie kann dann sinnvoll sein, wenn Sie äußerlich in Sicherheit sind.
Und mein Tipp für die Kolleginnen: Prüfen Sie genau, ob Sie Arbeitsbedingungen haben oder sie sich schaffen können, und ob Sie selbst stabil
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