Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
der Psychotraumatologie nicht wahrhaben, dass es noch mehr als genug andere Kolleginnen mit dieser Einstellung gibt. Doch ich komme sehr viel herum, von daher kann ich es aus eigenem Augenschein bestätigen.
Tatsächlich sind das genau die Ansichten, die Täter in destruktiven Familien haben; und so kommt es für die Patientinnen häufig zu Reinszenierungen von früher erlebten Gewaltszenarien – eine Abwärtsspirale.
Es stimmt: Patientinnen, die weniger Medikamente bekommen und weniger Terror erfahren, sind unter Umständen „unbequemer“; und in der Phase der Traumakonfrontation kann es sogar sein, dass alte Symptome wieder auftreten, die schon „weg“ waren. Außerdem haben viele Gewaltüberlebende tatsächlich gelernt, sich anzupassen und zu unterwerfen, um zu bekommen, was sie brauchen – es ist das typische Opferverhalten. Wer das nicht erkennt, kann so ein Verhalten leicht für „Lügen“ halten.
Glücklicherweise gibt es inzwischen viele andere psychiatrische und psychosomatische Kliniken, die sorgfältig und traumatherapeutisch mit Menschen in Not umgehen. Selbstverständlich sind Medikamente zur Unterstützung in Notsituationen ebenfalls oft erforderlich. Doch ein respektvoller und achtsamer Umgang mit Menschen in Not ist unerlässlich, aber eben keineswegs selbstverständlich.
Übrigens: Mindestens zwei Drittel der Klinikpatienten in Psychiatrien und psychosomatischen Kliniken sowie in ambulanten Psychotherapien sind Mädchen und Frauen!
Falls Sie jemals in die Verlegenheit kommen, eine psychiatrische Klinik aufsuchen zu müssen, wünsche ich Ihnen, dass Ihre regional zuständige Klinik inzwischen einen achtsamen Umgang mit Patientinnen selbstverständlich findet. Vielleicht fragen Sie einmal nach oder machen sich, noch besser, vor Ort selbst ein Bild ...
Meine Aufgabe ist es als Ausbilderin und Supervisorin, jede einzelne Kollegin, die entwertend über Patientinnen spricht, zu gewinnen – oder zumindest die Kollegin der Kollegin, damit dieses „Wir hier oben – die da unten“ aufhört und das Selbstverständliche Einzug hält. Damit die eine Kollegin der anderen – entwertenden – Kollegin widerspricht: Jeder Mensch kann psychisch in eine Krise geraten, meistens deswegen, weil in seinem oder ihrem Leben etwas geschehen ist, das nicht zu ertragen war. Vermutlich tun wir gut daran, uns alle immer wieder an den 11. September 2001 zu erinnern und daran, dass daraufhin rund 100.000 New Yorker dauerhafte psychische Beeinträchtigungen davongetragen haben (Possemeyer, 2002) – oder Szymborskas Gedicht zu lesen, um zu wissen: Wir sind nicht die besseren Menschen ...
Veronika Engl, die als Oberärztin in der Bielefelder Klinik für psychosomatische Medizin („Reddemann-Klinik“) arbeitet, pflegt zu sagen: „Man kann die Patientinnen als 90 Prozent krank betrachten und sie entsprechend behandeln. Man kann sie aber auch als 90 Prozent gesund betrachten und schauen, dass wir ihre Gesundheit so weit fördern, dass sie mit den 10 Prozent fertig werden und sich darum kümmern können.“
Entstehung der Psychotraumatologie
Angesichts der Hartnäckigkeit, mit der seelisch beeinträchtigte Patientinnen im Gesundheitswesen entwertet werden, ist es eigentlich verwunderlich, dass die Psychotraumatologie überhaupt entstehen konnte. So ganz einfach war es auch nicht, es war eine Entwicklung in mehreren Wellen: Entwicklung und Roll-back. Und so ist es bis heute.
Was war eigentlich der auslösende Funke für diese Entwicklung? Meist war es der Anblick der „Jungs“ – der noch recht jungen Soldaten, die aus einem Krieg zurückkamen, körperlich zusammengeflickt werden konnten, aber erkennbar verstört blieben. Schaut man sich die Forschungsliteratur an, so lässt sich getrost mutmaßen: Hätte es nicht die Kriegsveteranen gegeben, die aus dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten und vor allem dem Vietnamkrieg, dann wären vielleicht nicht so viele staatliche und private Forschungsgelder ausgegeben worden. Vielleicht wären wir dann nicht so weit wie heute, Spezifischeres zu wissen über das Traumagedächtnis, über Therapietechniken und Interventionsmöglichkeiten, als sie die herkömmliche „Rede-Kur“ von Freud und nachfolgenden Therapieschulen zu bieten hatten.
Nach den ersten Diskussionen über „Kriegsneurosen“ und „Kriegszitterer“, über den „Granaten-Schock“ (Shell-shock) durch den Ersten Weltkrieg, schuf Kardiner (1941) unter dem Eindruck der Zusammenbrüche von Soldaten im Zweiten
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