Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
Weltkrieg den Begriff der „Physioneurose“, um den gleichzeitig körperlichen wie seelischen, chronischen Beeinträchtigungsprozess nach Trauma zu umschreiben. Damit begann im Grunde die moderne Psychotraumatologie. Diese beschäftigt sich damit, dass reale Extremstress-Erfahrungen sich auch im Gehirn und den Stoffwechselmustern abbilden, dass zahlreiche psychosomatische Störungen und Erkrankungen daraufhin ebenso entstehen können wie Beeinträchtigungen bei Konzentration, Leistungsvermögen und Gefühlsregulation, und dass schließlich das Beziehungsgeschehen ebenso Schaden nehmen kann wie grundlegende Lebenseinstellungen der Betroffenen hinsichtlich des Sinns ihres Lebens und ihrer Spiritualität.
Untersucht wurde dies besonders bei Überlebenden von Realtraumata, welche nicht angezweifelt werden konnten: Kriege, Verfolgung, KZ-Haft und Folter zum Beispiel. In Bezug auf innerfamiliäre Traumata war es vor allem die Frauenbewegung, die auf das enorme Ausmaß an Misshandlungen, auch sexueller Gewalt, gegen Kinder und Frauen hingewiesen hat. Niemals unwidersprochen, häufig sogar heftig infrage gestellt und attackiert.
Judith Herman, die selbst aus der Frauenbewegung stammt und heute Professorin in Harvard ist, hat in ihren Publikationen immer wieder darauf hingewiesen, wie oft die Angehörigen sämtlicher Berufsgruppen, die mit den Überlebenden sexueller Gewalt arbeiten – Rechtsanwältinnen ebenso wie Psychotherapeutinnen, Beraterinnen ebenso wie Wissenschaftlerinnen –, mitsamt den Opfern als unglaubwürdig, hysterisch, übertreibend etc. dargestellt werden – nur weil sie Überlebende unterstützen, begleiten, über sie forschen etc. Ein Thema, das wieder auf die gesellschaftlichen Dimensionen und den Drang zur Verleugnung hinweist.
Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es natürlich auch Erinnerungsbestandteile geben kann, die Betroffene sich ausgedacht haben oder die eine Verzerrung der real erlebten Situation darstellen, genauso wie es Irrtümer in der Diagnostik geben kann (siehe u.a. Coons & Milstein, 1994; Draijer & Boon, 1999). Selbstverständlich wird in diesem Buch darauf hingewiesen, dass Klientin und Therapeutin sorgfältig sein müssen bei dem, was sie als reales Trauma bezeichnen und anerkennen. Letztlich kommt es darauf an, was die Klientin als ihre innere Wahrheit integrieren wird. Wenn es ihr nach der Integration ihrer Wahrheit besser geht, ist dies entscheidend – Therapeutinnen sind keine Staatsanwälte, sie werden gut daran tun, der Klientin ihre Wahrheit zu lassen und selbst eine Haltung der „empathischen Abstinenz“ (Fischer & Riedesser, 1998) einzunehmen. Doch die oft viele Jahre dauernde Begleitung von Opfern und Überlebenden von Gewalt – oft genug von in Polizei- und Jugendamtsakten dokumentierter Gewalt – ergibt bei den meisten „Profis“ ein gutes Gespür dafür, welche Klientin sich in ihren Erinnerungen irrt und welche über Jahre die Splitterstücke des Gewalterlebens – meist verbunden mit heftigen Gefühlen wie Todesangst oder Schmerzen – zusammenträgt und integrieren kann. Letztlich entscheidet die Symptomverbesserung: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Und in diesen beiden Bänden soll davon die Rede sein, was sich als tragfähig und erfolgreich herausgestellt hat.
Wer sich näher für die Geschichte der Psychotraumatologie interessiert, kann mehr dazu nachlesen bei Ellenberger (1985), Fiedler (1999), Frommberger (Überarbeitung 2003), Herman (Neuauflage 2003), Hofmann (1999), Hoffmann et al. (2003).
Heute können wir auf einen riesigen „body of knowledge“, auf ganze Bibiotheken voller Traumastudien verweisen, die in der Regel wissenschaftlicher Überprüfung bereits standgehalten haben. Demnach können nicht nur Kriegserfahrungen, Katastrophen, Unfälle und zwischenmenschliche Gewalt zur Ausprägung einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen. Sondern man kann auch aufgrund von Aids (Grube, 2000), Krebs (Alter et al., 1996; Cordova et al., 1995; Isermann et al., 2001; Kleining & Schumacher, 2001; Tjemsland et al., 1996; 1998 etc.) bzw. Herzinfarkt (Doerfler et al., 1994; Kutz et al, 1998) eine PTSD bekommen, oder weil man während einer OP aufgewacht ist (Osterman & van der Kolk, 1998; Schwendler et al., 1998), als Kind operiert bzw. durch häufige medizinische Eingriffe und Trennung von den Eltern traumatisiert wurde (Anand et al., 1988; Besser 2002) oder sogar schon im Mutterleib durch Fruchtwasseruntersuchung
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