Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
Psychotraumatologie befindet sich zurzeit in einem derartigen Studien-Boom, dass ständig neue Anregungen, Ergebnisse und Befunde veröffentlicht werden. Wir lernen also täglich hinzu. Was mir bis zum Frühjahr 2003 als besonders berichtenswert erschien, lesen Sie hier.
Kapitel 1:
Was ist ein Trauma – und was ein belastendes Lebensereignis?
„Den Komplex der traumatischen Störung zu erkennen setzt voraus, Botschaften mit ihren verwirrenden Verhaltensmustern wahrnehmen zu können, die Folge (von) Reaktionen auf existenzielle Bedrohung und die sprachlich nicht fassbar sind. Dies verlangt andere Wahrnehmungseinstellungen, als wir üblicherweise einnehmen ... Wahrnehmungen von ... Verhaltensweisen, die nicht von neurotischen Konflikten bestimmt sind, sondern sich quasi am Ich und jeglicher Kommunizierbarkeit vorbei entwickelt haben.“
– Streeck-Fischer, Kepper, Lehmann, 2002
In meinen Ausbildungskursen fordere ich gern am Anfang die Kolleginnen zum Brainstorming auf, was denn ein Trauma im Gegensatz zu einem belastenden Lebensereignis kennzeichne, und beginne mit einem fiktiven Beispiel: „Als ich mir 1972 beim Skifahren ein Bein brach“, sei das für mich zwar ein belastendes Lebensereignis gewesen, nicht aber ein Trauma. Was denn dann wohl ein Trauma sei? Zunächst versuchen die Kolleginnen dann häufig, mir Ereignisse zu nennen, die sie mit Traumata gleichsetzen. Etwa „Kriegserlebnisse“ – „Vergewaltigung“ – „Banküberfall“ – „Grubenunglück“ – „Sexuelle Gewalt in der Kindheit“. Woraufhin ich weiter frage: „Sind Sie sicher, dass dies alles Traumata sind? Ich behaupte, viele Menschen, die solche Ereignisse erleben, verarbeiten sie als zwar äußerst belastende, aber nicht als traumatische Ereignisse. Um Sie noch mehr zu verwirren: Manche Menschen werden einen Skiunfall, bei dem sie sich ein Bein brechen, als Trauma verarbeiten. Nehmen Sie solche realen Ereignisse, schauen Sie aber nun auf die innere Verarbeitung. Was kennzeichnet wohl ein Trauma im Vergleich zum belastenden Lebensereignis?“ Jetzt kommen andere Antworten. Etwa:
Was die KollegInnen so oder ähnlich mit ihren eigenen Worten auszudrücken pflegen, und was ich hier so dargestellt habe, als würde ein Stein ins Wasser geworfen, der immer weitere Kreise zieht, sind tatsächlich einige der wesentlichen Merkmale, durch die sich Traumata von anderen stressreichen Lebensereignissen unterscheiden.
Bei Traumata handelt es sich nicht um reine innere Konflikte, wie etwa das Problem: „Soll ich Abitur machen oder in Vaters Geschäft einsteigen?“ – auch wenn ein solcher Konflikt sicherlich großen inneren Stress bedeuten kann.
Ausgangspunkt sind vielmehr tatsächliche, extrem stressreiche äußere Ereignisse. Damit ein Ereignis aber zum Trauma für einen Menschen werden kann, muss eine Dynamik in Gang kommen, die sein Gehirn buchstäblich „in die Klemme bringt“ und es geradezu dazu nötigt, auf besondere Weise mit diesem Ereignis umzugehen. Diese „Klemme“ nenne ich die „Traumatische Zange“.
Diese Abbildung deutet an, wie sehr unser Gehirn bei einem äußeren extremen Stressor bemüht ist, auf möglichst rasche und effektive Weise mit dem Ereignis fertig zu werden. Es muss ein Ereignis sein, das vom Gehirn als eine äußerste Bedrohung erkannt wird, man nennt dies die Annihilationsdrohung: Das Informationsverarbeitungssystem Gehirn – in der Wahrnehmung der Person das eigene Selbst – wird so überflutet, dass die Person den Eindruck bekommt, als „ginge jetzt nichts mehr“, als sei „jetzt alles aus“, als täte sich ein Abgrund auf, in den man hineinstürzt; oder als müsse man jetzt sterben. Hierfür einige unterschiedliche Beispiele:
Beispiel 1: Eine Fahrradfahrerin fährt durch einen Park. Plötzlich springt ihr ein Mann in den Weg, zerrt sie vom Rad und ins Gebüsch.
Beispiel 2: Ein Mann biegt als Fußgänger abends um eine Ecke – und zwei junge Männer greifen ihn von hinten an, während ein dritter mit einem im Laternenlicht aufblitzenden Springmesser in der Hand auf ihn zukommt.
Beispiel 3: Ein kleines Mädchen liegt im Bett. Ihr Vater schmust mit ihr und beginnt sie unvermutet an ihren „geheimsten Stellen“ auf eine Art zu berühren, die ihr unangenehm ist und ihr zunehmend wehtut; dabei beginnt sich das Gesicht des Vaters zu verändern, es wird rot, sein Blick wird glasig, er fängt an, stoßweise zu atmen ...
Beispiel 4: Ein Polizist wird mit seinen Kollegen zu einem
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