Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
zu haben. Alle in der Familie scheinen „es “ zu wissen, doch nicht nur hilft ihr keiner, es tun auch alle so, als wäre „es “ völlig normal. Manchmal bekommt sie von ihrer Mutter eine Ohrfeige, wenn sie sich „wieder so nuttenhaft“ anzieht. „Nabelfreies T-Shirt! Wen willst du denn noch alles verrückt machen?!“ Dieser Andeutung entnimmt Lea, dass ihre Mutter sehr wohl weiß, was der Vater heimlich mit ihr macht – aber ihr, Lea, dafür die Schuld gibt! Lea träumt viel, spricht mit ihren Kuscheltieren, hat intensive Phantasie-Spielgefährten: Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter, Alf und Matilda, die Heldin aus einem Schulbuch – sie alle und viele mehr bevölkern ihre Innenwelt. Aber da sind auch die vielen schlimmen Träume, bei denen sie ab und zu ins Bett macht vor lauter Angst. Das bemerkt ihre Mutter immer und mit scharfen Worten. Neulich hat sie Lea deshalb schon mit zu einer Beratungsstelle genommen und dort vorgestellt mit den Worten: „Es war immer schon so sonderbar. Es tickt einfach nicht richtig. Nun macht es auch noch ins Bett.“ Hat geweint vor der Beraterin, sie gebe sich doch so viel Mühe, „aber es will einfach nicht hören. Was soll ich bloß tun? Meinen Sie, Sie kriegen es wieder hin?“ Doch die Beraterin hat auch Lea angesehen, hat sie auch selbst gefragt. Lea hat zur Mutter hinübergeschielt und geschwiegen. Die Beraterin meinte daraufhin, wenn sie selbst nicht wolle, dann könne sie ihr auch nicht helfen. Lea in ihrer Verzweiflung: „Aber was soll ich denn sagen, ich weiß doch nichts zu sagen!“ Die Beraterin hat trotzdem einen Termin mit ihr allein ausgemacht. Auf dem Heimweg reißt ihre Mutter sie am Arm und zischt ihr ins Ohr: „Du bist eine Schlampe, es ist alles deine Schuld. Wenn du da allein hingehst, wirst du deine Eltern nicht in den Dreck ziehen, hörst du?!“ Lea jedoch hört noch mehr. In ihren Ohren braust es; ihre inneren Stimmen reden durcheinander: „Lass die Alte doch quatschen!“ „Du wirst kein Wort verraten, kein Wort!“ „Die Beraterin war nett, geh da wieder hin!“ ...
Wie es für Lea weitergeht, hängt davon ab, ob sie anfangen kann zu sprechen, trotz des Redeverbotes. Und natürlich davon, ob die Beraterin sie ermutigt, sie versteht und ihr signalisiert: „Ich höre dir zu, ich nehme dich ernst und werde mit dir überlegen, wie wir dir helfen können.“
Schutzfaktoren
Den 15 genannten Faktoren, deren Auswirkung auf die Schwere von traumatischen Entwicklungen bekannt und untersucht ist, stehen immerhin ein paar „Schutzfaktoren“ gegenüber, darunter:
soziale Unterstützung,
kommunikative Kompetenz und ein
kohärentes Weltbild. (Fritze, 2000)
Wer also das Glück hat, ein gutes und sicheres soziales Umfeld zu haben, sich sprachlich gut ausdrücken zu können und den Glauben an Gott und die Welt noch nicht verloren hat – der oder die hat eine Art „Immunschutzschild“ gegen chronische Folgen von Traumatisierungen. Immerhin.
Risikofaktoren
Leider gibt es umgekehrt noch eine ganze Reihe von Wirkfaktoren, die hier genannt werden sollen und die man nach dem Zeitpunkt unterscheiden kann, an dem sie auftreten – die wiederum die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen PTSD erhöhen (ergänzt nach De Bellis, 2001):
Bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person nach einem Trauma eine PTSD (Posttraumatische Belastungsstörung) entwickeln wird:
a) Faktoren vor dem traumatischen Ereignis:
geringe soziale Unterstützung;
„Schicksalsschläge“ (adverse life events);
Armut der Eltern;
vorherige Misshandlung in der Kindheit;
dysfunktionale Familienstrukturen;
familial-genetische Geschichte psychischer Störungen;
Introversion oder extrem gehemmtes Verhalten;
Geschlecht: weiblich;
schlechte körperliche Gesundheit;
vorherige psychische Störung.
b) Faktoren während des Traumas:
Länge und Ausmaß und Wiederholung der traumatischen Einwirkung;
subjektives Bedrohungsgefühl (z. B. häufige akute Todesangst);
andere damit verbundene Traumata (z. B. Zeuge der Misshandlung anderer werden; zum Täter an anderen Opfern werden).
c) Faktoren nach dem Trauma:
mangelnde soziale Unterstützung;
fortgesetzte negative Lebensereignisse;
mangelnde Anerkennung des Traumas durch andere;
sekundäre Stressfaktoren wie Schulwechsel, Umzug, Zerstörung des Zuhauses, wiederholte Bedrohungen, Angst vor dem Täter und finanzielle Probleme.
a) Aus den Faktoren „vor“ dem traumatischen Ereignis geht hervor:
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