Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
erhöht, die gehäuft bei depressiven Störungen auftritt und ihrerseits das Risiko für das Auftreten einer PTSD erhöht.“ (Siehe auch Fullerton et al., 2000)
Doch auch medizinische Eingriffe können die junge Persönlichkeit so destabilisieren, dass spätere traumatische Erfahrungen schlechter integriert werden können. Ein Beispiel:
Mehreren mündlichen Berichten von KollegInnen zufolge war es bis Mitte der 1980er-Jahre durchaus nicht unüblich, Kinder unter zweieinhalb Jahren in Krankenhäusern ohne Betäubung zu operieren. Dies weniger aus offensichtlichem Sadismus. Sondern Ärzte dachten lange entweder: Bei einem so kleinen Kind sei noch keine Schmerzempfindung möglich, weil sein Nervensystem die Schmerzrezeptoren noch nicht genug ausgebildet habe. Oder man dachte: Das Kind wird sich später nicht an das schmerzhafte Geschehen erinnern können. Beide Annahmen sind eindeutig falsch: Auch kleine Kinder empfinden Schmerz sehr deutlich. Und: Traumaerinnerungen sind unauslöschlich im Gehirn eingegraben, sie werden nur „weggedrückt“, nicht aber vergessen.
Überdies wurde bis Anfang der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts die Besuchserlaubnis in Krankenhäusern sehr restriktiv gehandhabt, sodass Kinder, die wegen Infektionen oder chirurgischen Eingriffen im Krankenhaus lagen, häufig tage-, wochen- und manchmal monatelang ihre Eltern nicht (oder nur durch eine Trennscheibe) sehen durften. Auch wurden Neugeborene den Müttern gleich nach der Geburt weggenommen und nur zu bestimmten „Fütterungszeiten“ wieder überlassen. Kaum abzusehen, was solche potenziell traumatischen Ereignisse an Verlassenheitserfahrung für die Kinder bedeutet haben und wie sehr es sie „vulnerabel“ machte, auf weiteren extremen Stress mit einer heftigeren und länger anhaltenden PTSD zu reagieren (siehe auch die Literatur zu medizinischen Traumatisierungen im Literaturverzeichnis; einige davon sind in der Einleitung ausdrücklich erwähnt).
10. Sexuelle Gewalt ist eine Form der Misshandlung, die deshalb so schwer zu verkraften ist, weil sie in den Körper eindringt und die leib-seelische Integrität des Menschen zerstört. Folterer überall auf der Welt wissen das. Zur politischen Folter bei Frauen gehört routinemäßig die Vergewaltigung. Bei Männern wird sie nur angewandt, wenn die Folterer ganz sicher sind, dass sie die Persönlichkeit des Mannes zerstören wollen (Birk et al., 2002; Drees, 1996; Graessner et al., 1996; Möller et al., 1999). Es gibt also ein Wissen bei Tätern darum, was sexuelle – eigentlich: sexualisierte – Gewalt anrichtet.
Sexualisiert ist die Gewalt dann, wenn sie ausschließlich auf Macht und Zerstörung aus ist, sich lediglich des Mittels der Sexualität bedient. Bei genauerer Analyse kann man feststellen, dass die meiste sexuelle Gewalt nicht vorrangig der „Triebbefriedigung“ dient, sondern vor allem ein Ausdruck von Hass und Zerstörungswut ist. Häufig erinnern sich vergewaltigte Frauen an die Augen des Täters, an den Blick, der sie voller Hass durchbohrt hat, mit dem Willen der absoluten Vernichtung. Diese Waffe – die Augen des Täters – fokussiert die Opfer leider häufig genug, und sie lähmt das Opfer vor Entsetzen, fördert also die „Freeze“-Raktion. Daher empfehlen alle Selbstverteidigungskurse den Mädchen und Frauen: „Wenn du angegriffen wirst, schau dem Täter nicht in die Augen, sondern auf die Stirn oder zwischen die Augen – damit du deine Kraft behältst, dich zu wehren!“
Sexualisierte Gewalt zielt darauf ab, die Persönlichkeit des Opfers zu vernichten. Daher ist sie sehr schwer zu verarbeiten, und auch die Dissoziationsrate ist nach sexueller Gewalt besonders hoch, was darauf verweist, wie sehr dieses Ereignis auf- und abgespalten werden muss.
11. Falls es noch Steigerungsmöglichkeiten gibt: eine Stufe mehr noch ist die sadistische Folter. Nach solchen Ereignissen finden wir nicht nur ausgeprägte Reaktionen von Entsetzen, Scham und Hilflosigkeit, sondern auch ausgeprägte Täter-Introjekte. Jedes Opfer nimmt den Täter in manchen seiner Verhaltens- und Denkweisen sozusagen in sich auf, introjiziert sie, wie die Tiefenpsychologen sagen; beim Sadisten ist es die Lust am Quälen und Erniedrigen. Wer diese nach innen genommen hat, erlebt häufig intensive innerliche sado-masochistische Reinszenierungen, in denen die inneren Opferanteile von den inneren Täteranteilen gedemütigt, gequält und erneut vergewaltigt werden, in einer Art quälendem Perpetuum
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