Traumfabrik Harvard
aber wiederum so viele Nischen, Besonderheiten und Grauzonen
in diesem Gewirr, dass sich Schattierungen und fließende Übergänge mit harten Kontrasten abwechseln. Wer meint, unter diesem
ungeregelten Durcheinander und scharfen Konkurrenzdruck müsse die Arbeit und Qualität der Hochschulen leiden, irrt jedoch.
Denn just der unerbittliche Wettbewerb, die offene Feldschlacht und das verdeckte Buhlen um die besten Studenten und Professoren,
um öffentliche und private Gelder rücken die Qualität der Hochschulen immer wieder ins Rampenlicht kritischer Fragen und öffentlicher
Beobachtung: Ist ein Studium seinen Preis wirklich wert? Sind die Mühen, eine Zulassung an einer
selective school*
zu ergattern, und deren zusätzliche Kosten gerechtfertigt? Was zeichnet Hochschule X vor ihren Mitbewerbern aus? Kann sie
liefern, was ihr Prestige verspricht? Wie weit trägt ihre Reputation?
Qualität und
equity
– Fragen nach der Leistungsgerechtigkeit für verschiedene soziale Gruppen – sind denn auch die Top-Themen in der Berichterstattung
über Hochschulen und in ihrer öffentlichen Wahrnehmung. Anders als in Europa, wo sich neuerdings alles um »Qualitätssicherung«
und »Qualitätsmanagement« dreht, will man in den USA die Qualität und |33| Ergebnisse der Ausbildung an einer Hochschule messen. Ökonomen und Sozialwissenschaftler erkunden immer raffiniertere Methoden,
um sie zu erfassen. Rankings verhelfen Publikumszeitschriften zu hoher Aufmerksamkeit und Auflagensprüngen. Wissenschaftsorganisationen
steuern ihre eigenen Ansichten und Datensätze zur Qualitätsdebatte bei, und Studienbewerber versuchen, den speziellen
sound
der Colleges ihrer Wahl zu treffen. Hochschulen überbieten sich darin, ihre Vorzüge herauszustellen und zu kommunizieren –
in feierlichen akademischen Ehrungen und Zeitungsanzeigen, in denen sie sich der Auszeichnungen ihrer Studenten mit Fulbright
oder Rhodes Stipendien rühmen und ihren Wissenschaftlern zu prestigeträchtigen Preisen gratulieren, im Studentenmarketing,
auf ihren Homepages, in Alumnivereinen,
honor societies
und
fundraising-
Kampagnen*. Da der sportliche Wettkampf in den USA groß geschrieben und Teamsport geliebt wird, stoßen akademische Medaillenspiegel
und Tabellen mit den besten
professional schools,
höchsten Drittmitteln oder größten Vermögen stets auf Interesse, und viele Hochschulangehörige können das Leistungsprofil
»ihrer« Studenten auswendig herbeten.
Hochschulen in Amerika waren und sind demnach ein im besten Sinne zivilgesellschaftliches Projekt: Sie entwickelten sich im
freien Spiel gesellschaftlicher Kräfte, sozialer Interessen und kultureller Strömungen, teilweise unter massiver Mithilfe
des Staates, aber zu keiner Zeit als eine staatliche Veranstaltung. Auch die Einzelstaaten als Träger der öffentlichen Hochschulnetze
halten sich aus dem operativen Geschäft weitgehend heraus und nehmen ihre Interessen stattdessen indirekt wahr, durch Budgetauflagen
oder durch ihre Stimme in den Hochschulräten. Von Verstaatlichung hat man in den USA nie viel gehalten. Auch für das Hochschulwesen
stand sie nie ernsthaft zur Debatte – weder unmittelbar nach 1945, als man sich von einer Ausweitung des Hochschulzugangs
eine neue, bessere Gesellschaft und immer mehr Wohlstand versprach, noch nach dem Sputnik-Schock von 1957, als das Überleben
der Nation gleichsam über Nacht vom raschen Ausbau naturwissenschaftlicher Lehr- und Forschungskapazitäten abzuhängen schien.
Staatliche Machtmittel – Gesetze, Regularien, Ge- und Verbote, Steuergelder – blieben ein randständiger, in Wirkung und Reichweite
eng begrenzter Faktor im großen Spiel von Angebot und Nachfrage. Das bietet genug Raum auch für ganz neue Typen von Einrichtungen
und Programmen, wie der erstaunliche Erfolg niedrigschwelliger Community Colleges nach 1945 und der rasante Aufstieg kommerzieller
Hochschulen in den 1990er Jahren bezeugen.
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|34| Quantitative Dimensionen
Das dritte Strukturmerkmal des amerikanischen Hochschulwesens, seine enorme Größe, ist eng mit den beiden anderen verknüpft,
die wir bisher beleuchtet haben: Vielfalt und Marktorientierung zwingen jede Hochschule zur Umtriebigkeit. Sie muss sich im
Wettbewerb positionieren und alles daran setzen, dass sie für Studienbewerber und Sponsoren, Stiftungen und Wissenschaftler
sowie für die staatliche Forschungsförderung möglichst attraktiv ist. Von der
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