Traumfabrik Harvard
Angebotsseite her war und ist es daher ein Leichtes,
das Leistungsspektrum und die Versorgungsdichte der Hochschulausbildung auszuweiten, sofern und sobald es die Nachfrage verlangt.
So bedurfte es nur einer Initialzündung, um einen stürmischen Expansionsprozess auszulösen, der das Hochschulwesen und schließlich
auch das Gesicht der amerikanischen Gesellschaft nachhaltig veränderte. Sie kam mit dem
GI-Bill
von 1944, der jedem Kriegsveteranen einen Anspruch auf staatliche Unterstützung für die Kosten einer Collegeausbildung zusagte
und zum Ausgangspunkt für weitere Gesetze wurde, die den Kreis der Empfangsberechtigten schließlich auf alle Amerikaner ausweitete.
Damit setzten sich die USA an die Spitze eines internationalen Trends zur Expansion der Hochschulbildung, in dessen Gefolge
nicht nur die absoluten Studentenzahlen rasant anstiegen, sondern auch der Anteil von Hochschulabsolventen an der Bevölkerung.
Im Gleichtakt durchlief das amerikanische Hochschulwesen, wiederum als weltweit erstes, einen nachhaltigen Paradigmenwechsel
von der Elite- zur Massenausbildung (Trow 2001).
Trotz ihrer historischen Vorreiterfunktion stehen die USA, wenn es um die soziale Öffnung der Hochschulbildung und quantitatives
Wachstum geht, heute nicht mehr an vorderster Front. Mehr als die Hälfte einer Alterskohorte zu einem Hochschulabschluss zu
führen, wozu einige Länder inzwischen entschlossen sind, halten hier weder die Politik noch die Wissenschaftsorganisationen
für ein Gebot der Stunde oder gar für eine nationale Überlebensfrage. Bildungspolitisch hat eine umfassende und nachhaltige
Verbesserung des öffentlichen Schulwesens eindeutig Priorität vor einem weiteren Ausbau des tertiären Sektors.
Nach den jüngsten OECD-Statistiken verfügten 2004 39 Prozent der 25- bis 64-jährigen Amerikaner über einen Hochschulabschluss,
was das Land zum klaren Tabellenführer machte. 9 Aber Japan oder Schweden sind ihm dicht auf den Fersen – und holen nicht nur auf, sondern sind dabei, es zu übertreffen.
Während sich das Bildungsprofil jüngerer Amerikaner |35| heute nicht mehr vom Gesamtdurchschnitt unterscheidet, das heißt eine »Hochschulsättigung« zu verzeichnen ist, haben in Kanada
inzwischen bereits 53 Prozent, in Japan 52, in Korea 49 und in Schweden 42 Prozent der 25- bis 34-Jährigen eine Hochschulausbildung
absolviert. Schlüsselt man diese aggregierten Daten weiter auf, verblasst der Glanz vollends. Denn für die amerikanische Traumquote
schlagen auch Abschlüsse an solchen Einrichtungen zu Buche, die zwar nominell zum tertiären Bildungswesen rechnen, aber genau
genommen keine Hochschulen, sondern (höhere) Fachschulen sind, nämlich
2-year institutions
*, die einen
Associate
Degree
verleihen. Daher sind die Daten der OECD zwar hilfreich, wenn man eine grobe Bestandsaufnahme vornehmen und Trends erkennen
will. Wer ein genaueres Bild vom Umfang und Leistungsvolumen des amerikanischen Hochschulwesens gewinnen möchte, muss aber
auf Statistiken aus den USA selber zurückgreifen. Sie zeichnen ein deutlich anderes Bild: Nach dem jährlichen Zahlenspiegel
des
Chronicle of Higher Education
besaßen 2004/05 nur 34,6 (und nicht etwa 39) Prozent aller Amerikaner über 25 Jahren eine abgeschlossene Hochschulausbildung.
Doch nur 27,2 Prozent hatten einen Bachelor- oder höheren Abschlussgrad an einer
4-year institution
erworben. 10 Diese Hochschulquote im engeren Sinne hat sich nach einem Höhepunkt 1971 mit 29 Prozent seit den frühen 1980er Jahren kaum
noch verändert. Andere G8-Länder haben inzwischen längst ein ähnliches Niveau erreicht, so dass die USA hier weder Ausreißer
noch Trendsetter sind.
Von Stillstand kann dennoch keine Rede sein. Dank der demographischen Entwicklung ist das amerikanische Hochschulwesen auch
während der letzten vier Jahrzehnte kräftig gewachsen. Umfasste es 1966 2.329 Einrichtungen, zählten 2005 annähernd doppelt
so viele dazu, nämlich 4.216. Die Gesamtzahl der Studenten stieg in derselben Zeit sogar fast auf das Dreifache, nämlich von
etwa 6,4 Millionen auf 17,4 Millionen. 11 5,8 Prozent der gut 300 Millionen Einwohner der USA befinden sich heute in irgendeiner Art von hochschulischer Aus- und Weiterbildung.
Eine analoge Entwicklung verzeichnete die Zahl jährlich abgelegter Examina, mit besonders großen Sprüngen beim Master und
bei den
Associate Degrees
. Wenn letztere 2005 fünfmal öfter verliehen wurden als 1966,
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