Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen
und Stapel gebundener Notizbücher –, kam dem Doktor wie ein Sinnbild für eine größere entropische Theorie vor, für die es einer Metapher bedurfte, die im Augenblick seinen Verstand überforderte. Als er Francesca über eine Reihe von Glasglocken hob, erhellte die Laterne die Decke: das abblätternde Fresko eines nackten Mannes im Meer, der von Frauen umgeben war. Dann war das Licht verschwunden, da Mahmoud es durch den Raum gleiten ließ. Svenson fragte sich, welche große Erzählung die intimsten Stunden eines Königs verschönerte. Jonas’ Rettung? Poseidon und seine Nymphen? Oder eine Sintflut – Tod in Ekstase?
»Ich mag die Spinnen nicht«, flüsterte Francesca und starrte auf ein schockierend großes Exemplar unter Glas. Svenson nahm sie erneut auf den Arm und ließ die Bediensteten mit Mrs. Kraft vorbeigehen.
»Niemand kann sie leiden, Schatz.«
» Er schon.« Ihre Stimme klang belegt. »Er findet sie schön … ich muss sie mir anschauen, obwohl ich es gar nicht will.«
»Schau stattdessen Mrs. Kraft an.«
»Bei ihrem Anblick wird mir schlecht.« Francesca musste aufstoßen. Svenson verzog das Gesicht bei dem fauligen Geruch.
»Vorher ist dir auch nicht schlecht geworden.«
»Jetzt schon.«
»Dann müssen wir etwas dagegen tun.«
»Wie?«
»Indem wir den Plan der Contessa befolgen. Du vertraust der Contessa doch, oder?«
Francesca nickte.
»Na also«, sagte Svenson. »Wir werden nichts tun, was sie nicht beabsichtigt hätte.«
Er schickte die Diener mit genauen Anweisungen weg. Vielleicht würde es nicht funktionieren – die Männer würden vielleicht bemerkt, oder seine Formel war falsch (war er sich bei dem behandelten Paraffin sicher?). Trotzdem gingen sie stumm in die Hocke und blickten aus einem Erdgeschossfenster, während Francesca neben Svenson kauerte und Mrs. Kraft sich mit einem glasigen Ausdruck an Mahmoud lehnte.
Direkt gegenüber, auf der anderen Hofseite, befand sich ein riesiges Tor mit einem mittelalterlichen Fallgitter. Ein Dutzend Männer in grünen Uniformen stand davor herum und plauderte mit dem Institutspersonal. Svenson sah, wie eine schwarzgekleidete Gestalt beiseitegenommen und befragt wurde, bevor die Wachen sie passieren ließen.
Mahmoud nutzte die Unruhe, um ein Fenster zu öffnen. Der Backsteinrundbau lag direkt zwischen ihrem Fenster und dem Tor. Eine einzelne Wache stand vor seiner Tür.
»Bleiben Sie so weit unten, wie Sie nur können«, flüsterte Svenson. »Schafft Mrs. Kraft das?«
»Die Frage kommt ein wenig spät, meinen Sie nicht?«
»Ja, natürlich. Ich wollte nur …«
Mahmoud unterbrach Svenson. »Es spielt kaum eine Rolle.«
Auf der anderen Hofseite wurde eine Eisenklappe, die in den Boden eingelassen war, geöffnet – der Tunneleingang vom Hof –, und eine Wolke schwarzen Rauchs quoll daraus hervor.
»Wo bleibt der Lärm?«, fragte Mahmoud. »Es hat keine Explosion gegeben – etwas ist schiefgegangen.«
»Warten Sie!«, fauchte Svenson. »Hören Sie!«
Doch etwas war tatsächlich schiefgegangen. Der erhoffte Donnerschlag blieb aus, und an seiner Stelle stieg nur Qualm auf. Ge quält sahen sie hinüber, aber nicht eine der Wachen bemerkte etwas.
Ein Aufschrei ertönte – endlich! –, kam jedoch nicht von den Wachen. Er erscholl noch einmal, und zwar vom Dach: Wachposten, die sich vom Himmel abhoben. Schließlich rannte ein Mann vom Wachhäuschen in den Hof, um nachzusehen. Auf sein Rufen hin folgten zwei weitere … und dann kamen auch die restlichen Wachen angerannt und riefen nach Wasser, nach Äxten, nach den anderen.
Der Mann, der vor dem Rundbau postiert war, zögerte, stellte dann jedoch seine Waffe ab und lief zu seinen Kameraden. Wie der Blitz sprang Mahmoud hinaus. Svenson reichte Francesca hindurch und kümmerte sich dann um Mrs. Kraft, die ihm einfach von Mahmoud abgenommen wurde. Svenson kletterte auf Knien und Ellbogen über das Sims und packte Francesca. Mahmoud war bereits ein Dutzend Schritte entfernt. Er trug seine Herrin wie einen zusammengerollten Teppich auf dem Rücken.
Svensons Seite schmerzte bei jedem Schritt. Mahmoud erreichte den Rundbau und ließ Mrs. Kraft von den Schultern gleiten. Svenson holte ihn stampfend ein.
Die Tür war nicht verschlossen, und sie schlüpften hinein. »Runter, mein Schatz, so schnell du kannst!«
Francesca umklammerte das Geländer und stieg mit quälender Behutsamkeit hinab. Der Doktor konnte ihr keinen Vorwurf machen – der kleinste Ausrutscher auf dieser hohen Treppe
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