Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen
beschleunigte seinen Schritt.
»Sie wollten erinnert werden, Sir …«
»Unmöglich, Kelling, Sie müssen warten!« Schoepfil drehte sich mit einem gezwungenen Lächeln um. »Gibt es vielleicht eine Stunde am Tag, die nicht zu schnell vergeht?«
»Immer die letzte«, sagte sie. Es gefiel ihr nicht, dass jemand an ihr zog.
Mr. Schoepfil zwinkerte. »Sie sehen aus, als wären Sie verärgert?«
»Sie sind ein Ghul.«
»Die Welt ist ghulisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie den Kopf in den Sand stecken!« Kelling schoss an ihnen vorbei, um eine Tür zu öffnen, durch die Schoepfil ohne innezuhalten hindurchstürmte. »Gestalten wie wir kommen nicht ohne Sinn und Zweck auf die Welt.«
Die Tür schloss sich unmittelbar hinter Miss Temple, und Kelling war verschwunden. Schoepfil trat zu einem anderen Tisch, auf dem keine Papierstapel lagen, sondern zu ihrem Schrecken ein Haufen metallischer Werkzeuge.
»Doch wessen Zweck, Miss Temple?« Schoepfil ordnete die Werkzeuge mit einem ausgestreckten Finger. »Wir sind von äußeren Einflüssen getrieben, wie Magellan von der Strömung des Meeres, und ernten dabei was? Die Quelle selbst, um es so zu nennen, vermittelt kein Bild von der Gesamtheit . Und was Sie betrifft, welcher Puppenspieler hat Sie in meine Reichweite gebracht?«
»Da Sie mich mit der Contessa gesehen haben, nehme ich an, Sie haben das Geheimnis gelüftet.«
»Und was soll ich damit anfangen?«
»Versuchen Sie, ungestraft davonzukommen. Aber am besten sorgen Sie für den Tod der Frau.«
Schoepfil schenkte ihr ein nachsichtiges Lächeln und öffnete den länglichen Kasten. Über den Rand seiner Brille hinweg blickte er sie an. »Ich nehme an, Sie wissen, was ich hier habe.«
»Warum sollte ich?«, erwiderte Miss Temple. »Ich bin nur eine Marionette.«
»Ach, kommen Sie, seien Sie keine Spielverderberin.«
Zur eigenen Überraschung verkniff sie sich eine obszöne Bemerkung. War das ein weiteres Resultat ihres sich zersetzenden Charakters, die Manieren eines Fischweibs? Sie biss sich auf die Innenseite einer Wange. Schoepfil beachtete ihr Schweigen gar nicht und beschäftigte sich erneut mit dem Inhalt des Kastens. Diesmal war sein Zählvorgang noch komplizierter, als wolle er eine komplexe mathematische Fragestellung lösen. Miss Temple hatte ein misstrauisches Auge auf die Werkzeuge aus Stahl.
»Wer sind Sie, um über so viele Räume im Palast der Königin verfügen zu können?«
»Seltsam, nicht?«
»Weiß die Königin überhaupt davon?«
Schoepfil lachte und schlug mit der Faust auf den Tisch, eine Geste, die Miss Temple übertrieben und abstoßend fand. »Warum sollte sie?«
»Ich nehme an, Sie sind nicht mit den Lieferanten hereingeschlüpft.«
»Bin ich nicht. Diejenigen, die nicht hierher gehören, werden bemerkt .«
»Ich nicht.«
» Au contraire ! Mindestens genauso sehr wie Ihre dynamische Begleiterin.«
»Warum sollte mich jemand bemerken?«
Schoepfil nickte zustimmend, eine herablassende Verabschiedung. »Die eigentliche Frage ist, wie eine in so schlechtem Ruf stehende Person wie die Contessa zu einer Audienz kommen konnte. Sie müssen es gewesen sein, ihre Begleiterin, die, so unscheinbar sie auch sein mochte, irgendwelche wichtigen Nachrichten zu überbringen hatte. Außerdem haben Sie Roger Bascombe erwähnt, was alles ändert.«
»Sie sagten, ich sei nicht von eigentlichem Interesse.«
»Habe ich mich getäuscht? Sie haben gesagt, sie hätten vier Leute getötet – von denen einer, wenn ich mich nicht täusche, Roger Bascombe selbst war.« Er hob die Brauen und wartete auf ihren Widerspruch. Als keiner kam, bellte Mr. Schoepfil vor Befriedigung: »Zum Geschäft! Was sagen Sie hierzu ?«
Schoepfil drehte den länglichen Kasten zu ihr um. Er war mit orangefarbenem Filz ausgelegt, doch die Glaskarten waren von unterschiedlichen Farben durchzogen, und nur eine war ganz blau. Die letzte Ausbuchtung war leer.
Zum zweiten Mal an diesem Tag kam Miss Temple ihre frühere Nachbarin und Rivalin, Miss Cynthia Hobart, in den Sinn, was Schoepfils Fingern geschuldet war, die wie unentschlossene Bienen von Quadrat zu Quadrat hüpften, das exakte Spiegelbild von Cynthias Hand über einem Tablett mit Rosinenbrötchen. Jahrelang hatte sich Miss Temple in gesellschaftlichen Belangen von Cynthia einschüchtern lassen, weil das Mädchen die Fähigkeit besaß – gleich, welche Meinung Miss Temple vertrat –, einen entgegengesetzten und überlegenen Standpunkt einzunehmen. Immer
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