Traumkristalle
andermal die Zufriedenheit mitnehmen, dann lassen Sie jedenfalls die Negation nicht zu Hause. Ich habe die Ehre, sie Ihnen wieder zu überreichen.“
Bei diesen Worten nahm der Kater mehr und mehr die Züge des Psychotomen an – auf einmal fühlte Schulze einen lebhaften Druck an seinem Kopfe und verlor zugleich die Kategorie und den Kater aus dem Gesichte. Schnell sprang er auf, fuhr in die Kleidung, kühlte sein Haupt und trat in sein Studierzimmer.
Auf der Schwelle lag sein Stubenhündchen, der treue Nonsens; aus seinem Maule hing noch eines der Würstchen mit den Raumproben. Das gute Tier hatte sie für genießbar gehalten, da waren ihm die Koordinaten in seinem Leibe auseinandergegangen, und nun lag es nach allen Dimensionen gekrümmt regungslos zu den Füßen seines Herrn. Schulze hob es bedauernd auf, da sagte eine Stimme:
„Laß’ mal liegen, Schulze, er ist nur scheintot.“ Und so war es. Als richtiger Philosophenhund mußte er die Metageometrie bald als unverdaulich wieder von sich geben.
Der Redende war Schulzes bester Freund, der Dr. Müller, ein normal entwickelter Mediziner, der es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte.
„Du siehst übrigens jammervoll aus, Mensch“, fuhr er fort, „es tut mir leid, daß ich Dir nicht einen Löffel Kaviar übrig gelassen habe. Aber er war ausgezeichnet. Wer hat dir den gestiftet?“
„Um Himmelswillen, Müller, du hast diese Büchse hier geleert?“
„Mit dem besten Appetit; du nimmst es doch nicht übel? Ich habe auch diese Likörproben dazu getrunken, etwas kräftig, aber delikat.“
„Unseliger Mensch, das waren ja meine Gefühle, das waren meine Ideale! Du hast sämtliche Gefühle und Ideale der Menschheit verschlungen, Kannibale, was soll nun aus Dir werden?“
„Gefühle im Kaviar und Ideale im Schnaps? Ihr Philosophen seid praktischer, als man meinen sollte. Nun, du siehst, es hat mir nichts geschadet. Ein richtiger Mediziner wird von solchen Kleinigkeiten nicht angegriffen. Hier hast du übrigens dein Feuerzeug wieder, es lag auf der Treppe. Ei, laß’ doch sehen, da ist ja noch so ein Störei – aber wahrhaftig, das Ding sieht gelungen aus –“
„Heb’ es auf, es ist die Zufriedenheit.“
„Es scheint mir eine neue Parasitenform, ich will versuchen, eine Reinkultur anzulegen. Und nun erzähle, wie du dich so zugerichtet?“
Schulze beichtete. Da fühlte der Arzt ihm den Puls und sagte:
„Menschlein, du hast noch nicht ausgeschlafen, nachmittags wird dir besser sein. Sei übrigens froh, daß der Kater und ich das Zeug gegessen haben, dir wäre es jedenfalls schlechter bekommen. Du kannst mir noch eine Zigarre geben, vorausgesetzt, daß nicht irgend ein psychologisches Scheusal mit eingewickelt ist.“
Er zündete die Zigarre an und ging gemütlich grüßend von dannen. Schulze aber setzte sich an den Schreibtisch, tauchte die Feder in das Tintenfaß, das die Negation halb ausgetrunken hatte, und schrieb Absage- und Entschuldigungsbriefe. Und da sich einmal seine Kategorie der Negation mit Tinte gesättigt hatte, schrieb er gleich noch eine Rezension hinterher. Dann stützte er das schwere Haupt wehmütig in die Hand und gedachte unter Seufzen des Psychotomen und seiner unglückseligen Gaben. Alle waren verschwunden – doch nein! Ein Gläschen stand noch in der Ecke, und ein Teufelchen schaute ihn unverfroren an. Es war der höhere Blödsinn.
Mirax
TRÄUME EINES MODERNEN GEISTERSEHERS,
ERLÄUTERT DURCH TRÄUME MODERNER
METAPHYSIK
Heino Mirax hatte eben in der Zeitschrift „Mysterium“, Organ für übersinnliche Weltanschauung und Experimental-Metaphysik, einen seiner tiefsinnigsten Artikel veröffentlicht: „Über die Anwendung der Entwickelungstheorie auf die künstliche Züchtung der Weltseele.“
Man fand denselben epochemachend überall, wo man überzeugt war, daß die moderne Wissenschaft auf dem Holzwege sei. Daß sie sich in der Tat auf dem Holzwege befindet und umkehren muß, ergibt sich für einen Kopf, der nicht durch gelehrte Studien gründlich verdorben ist, äußerst einfach. Es ist nämlich ungemein schwer, den gesamten Gedankenvorrat richtig zu verdauen, den die Geistesarbeit von Generationen unter dem Namen der Wissenschaft angehäuft hat. Der Mensch möchte doch aber gern etwas vom tiefsten Wesen der Welt verstehen, ohne ein halbes Leben lang darüber zu studieren. Da es nun nicht mehr möglich ist, beim Zeitungslesen nebenbei zur Wissenschaft zu gelangen, so muß die Wissenschaft zum
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