Traumkristalle
wie ihn kein Märchen großartiger erdenken konnte. Die Entdeckung war übrigens nicht so wertvoll, wie sie im neunzehnten Jahrhundert gewesen wäre, denn die Edelsteine hatten nur einen Wert ihrer Härte und technischen Verwendbarkeit wegen; aber der Anblick im Glänze der elektrischen Beleuchtung war so bezaubernd, daß Atom beschloß, diese kolossale Kristalldruse zu seinem Privatbüro zu machen. Er ließ nur den äußeren Gang in seinem Amtszimmer durch eine Tür verschließen und hielt seine Endeckung geheim. Nach und nach aber brachte er seine wichtigsten Bücher, Instrumente und Chemikalien dahin und zog sich in seine Saphirgrotte zurück, sobald er eine besonders wichtige Arbeit vorhatte.
Auch heute saß er bei der Arbeit im „Rubinzimmer“, bei einer Arbeit, die ihn Tag und Nacht beschäftigte und seinen ruhelosen Geist zu immer neuen Anstrengungen trieb. Aber es war auch eine Riesenarbeit; es galt nicht, die Erde zu durchbohren oder Vulkane auszulöschen, es galt nicht, das Meer zu verdampfen oder den Mond gegen die Erde zu sprengen – Atom wäre davor nicht zurückgeschreckt; es galt etwas Schwereres – es galt, den Willen eines Weibes zu bezwingen. Und Atom war entschlossen, die Aufgabe zu lösen.
„Es muß möglich sein“, sagte er zu sich, „auch durch eine verhältnismäßig kurze Behandlung der Zentralorgane des Nervensystems eine Wirkung auf den Willen und auf die sympathischen Empfindungen des betreffenden Individuums hervorzurufen. Alles ist vorbereitet, die Apparate sind nach unendlicher Mühe zusammengestellt, die Chemikalien beschafft, die erforderlichen Stellen in Gehirn und Rückenmark ermittelt, es fehlt nur eines: das Versuchsobjekt selbst. Es fehlt Lyrika. Und somit ist meine Aufgabe klar formuliert! Es gilt, Lyrika in meine Gewalt und in dieses Zimmer zu bringen. Freiwillig wird sie mir nicht folgen, ich muß sie also zwingen. Das wird nicht zu schwer sein – ein leichter Gasstrom aus dieser Hülse, und sie ist bewußtlos, bewegungslos. Leicht kann ich sie dann hierherschaffen. – Ha, ich bin entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen! Ich werde sie erwerben, und wenn sie mir ihre Liebe nicht schenken kann, so werde ich ihre Neigung selbst erzeugen. Nicht umsonst habe ich mich seit drei Monaten unausgesetzt mit der Theorie der Gehirnfunktionen beschäftigt!“
So sprach Atom zu sich selbst. Wo aber war Lyrika? Wie konnte er sie finden? Dies schien ihm nicht schwer. Atom hatte, nachdem er seine Diaphot-Erfindung vervollkommnet, mit gutem Erfolg unsichtbar um Kotyledos Wohnung spioniert und nach kurzer Zeit Lyrikas Geheimnis entdeckt. Lyrika war die einzige Person außer Propion gewesen, zu welcher Atom einmal von Diaphot gesprochen hatte. Daran hatte Lyrika sich erinnert und sich dasselbe an jenem Morgen, als sie auf ihre Liebe verzichtete, aus Atoms Laboratorium zu erwerben gewußt. Die Glasflasche mit Diaphot war verschwunden, und so war es für Atom nicht schwer zu erraten, daß Lyrika dieselbe benutzt hatte, um ihrerseits zu verschwinden. Aber Atom wußte auch, daß das Diaphot nur auf acht bis neun Tage vorhalte und dann eine neue Dosis dem Körper zugeführt werden müsse; im andern Falle gewann derselbe seine Undurchsichtigkeit wieder, indem das Diaphot durch den Sauerstoffwechsel aus den Geweben ausgeschieden wurde. Zuerst wurden dabei eigentümlicherweise Haare und Knochen wieder sichtbar, so daß von einem solchen Menschen nichts als das Skelett zu sehen war; allmählich trat dann auch die Haut hervor, und der Körper nahm sein gewöhnliches Aussehen an. Der Vorrat von Diaphot, welchen Lyrika entwendet hatte, mußte nun, nachdem über drei Monate vergangen waren, aufgebraucht sein; sie sah sich also genötigt, einen neuen Vorrat zu gewinnen, was ihr freilich durch ihre Unsichtbarkeit erleichtert wurde. Dies sah jedoch Atom voraus und hatte deshalb seinen Besitz an Diaphot in dem „Rubinzimmer“ verborgen und verschlossen.
Die Existenz des Rubinzimmers hatte nun Lyrika bald ausgekundschaftet, indem sie sich unsichtbar dicht hinter Atom hielt; so gelangte sie in das Geheimbüro, aber in den verschlossenen Diaphot-Schrank zu dringen war ihr unmöglich. Sie mußte also warten, bis Atom einmal zufällig den Schrank aufschloß, vielleicht konnte sie dann die Büchse ergreifen und entfliehen. Aber auch Atom rechnete darauf, daß das Diaphot Lyrika selbst in seine Behausung treiben würde; sobald er sie dann entdeckte, wollte er sie betäuben und sich ihrer bemächtigen, um
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