Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
Hailey eindeutig von ihr geerbt, doch die braunen Augen, die sie skeptisch betrachten, finden sich in Haileys Gesicht nicht wieder. Auch die blonden Haare ihrer Mutter hat sie nicht. Haileys Haare sind glatt und schwarz wie flüssiges Pech.
Sie schlägt die weiße Decke zurück und schwingt ihre Beine über die Bettkante. Dabei schüttelt sie den Kopf und vermeidet, ihre Mutter anzusehen.
Diese deutet die Geste richtig und schlägt verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen.
»Kind, ich weiß nicht, was ich noch mit dir machen soll.«
»Aber ich kann doch auch nichts dafür!«
Frustriert schlägt Hailey mit einer Hand fest auf das Bett.
»Eleonore?«
»Der Kontrolleur ist da. Ich weiß nicht, wie ich ihm das erklären soll. Wenn du so weitermachst, verliere ich meinen Job!«, zischt Haileys Mutter wütend. »Und du vermutlich dein Leben«, fügt sie noch schnell hinzu und setzt dann ein strahlendes Lächeln auf.
»Als ob ich das nicht wüsste«, murmelt Hailey und zieht ebenfalls ihre Mundwinkel nach oben, als ein junger Mann den Raum betritt. Er trägt wie Eleonore einen langen, weißen Kittel.
Auf seiner großen Nase sitzt eine Brille mit runden Gläsern hinter denen wässrig blaue Augen Hailey mit wachsamem Blick betrachten.
»Mat.«
Begrüßend nickt Eleonore dem jungen Arzt zu.
»Du kommst zu spät zur Arbeit«, erwidert er schlicht und merkt nicht, dass Haileys Mutter vor Wut rot anläuft.
»Sicher«, erwidert sie schnippisch, »aber in meiner Position kann ich mir das erlauben.«
Mat runzelt irritiert die Stirn, antwortet aber nicht.
»Wie geht es dir heute Morgen, Hailey?«
»Übersetzt: Hast du geträumt oder schwebst du noch immer in Lebensgefahr« , denkt Hailey grimmig.
»Nein.«
Das Wort kommt ungewohnt leicht über ihre Lippen. Die Falten auf Mats Stirn werden tiefer.
»Ganz sicher?«
Eleonore öffnet den Mund, um zu einer Antwort anzusetzen, aber Hailey kommt ihr zuvor:
»Ja.«
»Nun...«, beginnt der Kontrolleur und ringt fassungslos nach Worten. Sein makelloser weißer Kittel betont seine schmächtige Statur.
»Möglicherweise erinnert sie sich einfach nicht. Wir sollten ihre Werte messen, bevor wir ein Urteil fällen.«
Wenn Hailey nicht wüsste, dass es ihrer Mutter nur um ihre Karriere ginge, würde sie fast glauben, dass sie sich um ihre Tochter sorgt. Fast.
Mat nickt bedächtig und klappt den kleinen Metallkoffer auf, den er bei sich trägt. Er holt eine kleine Spritze hervor.
»Arm her, Hailey.«
Widerstandslos lässt das junge Mädchen sich Blut abnehmen.
»Wir haben die Ergebnisse heute Mittag.«
Mit einem höflichen Nicken verabschiedet er sich und verlässt die Dreizimmerwohnung, die Hailey gemeinsam mit ihrer Mutter Zuhause nennt. Die Tür fällt mit einem lauten Knall ins Schloss.
»Mama, ich...«
»Spar es dir, Hailey. Wieso kannst du nicht einfach normal sein? Ich habe wirklich Angst, dass die Schattenwesen längst Besitz von dir ergriffen haben. Jeder von uns träumt. Unsere Träume sind wichtig, sie bestimmen unser Leben. Du weißt...«
Genervt bläst Hailey sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
»Die Regierung sorgt dafür, dass die finsteren Kreaturen nicht unsere Träume stehlen können. Ohne Träume sind wir keine Menschen mehr und sterben«, leiert Hailey gelangweilt herunter.
»Ich weiß das alles, Mama! Aber denkst du, ich mache das absichtlich? Du weißt genau, dass ich nicht lüge, was meine Träume angeht. Und solange mir das Abwehrmittel gespritzt wird, sollte doch alles in Ordnung sein, oder?«
»Nein, es ist nicht alles in Ordnung! Unsere Träume werden in kontrollierte Bahnen gelenkt, damit wir den Schattenwesen nicht begegnen können. Wenn du deine Träume...«
»... nicht beherrschen kannst, hilft auch kein Abwehrmittel. Jaja, ich weiß. Aber bis jetzt ist noch nichts passiert. Macy hat gesagt, dass einen die Schattenwesen gleich in der ersten Nacht holen, sobald man das Abwehrmittel vergessen hat.«
»Macy hat gesagt«, äfft Eleonore ihre Tochter nach, »ich bin hier die Ärztin. Wenn es mich nicht gäbe und ich nicht alles unter Kontrolle hätte, würdest du längst kein Abwehrmittel mehr bekommen und sterben. Du solltest der Regierung dankbar dafür sein, dass sie dir alles geben: Ein Zuhause, einen Job, sichere Träume. Du verdankst ihr dein Leben, Hailey! Du hast keine Ahnung, wie viele Menschen schon sterben mussten, weil sie das nicht schätzen konnten.«
»Ich gehe
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