Traummann in Klischee - ein heiterer Frauenroman
zur Kanzlei auf, gähnte und kratzte mich erst mal an meinem Allerwertesten. Das war ein mir lieb gewordenes Ritual, das erste des Morgens auf Arbeit. Beim Morgentee Bereiten, Blumen Gießen, Akten Sortieren, Termine Durchblättern und Bleistift Spitzen, wurde mir bewusst, wie sehr mir die letzten Monate doch Leonore und ihr Regime ans Herz gewachsen waren. Ich wusste ja, dieser Job war auch wieder nur ein Job gewesen, keine Tätigkeit auf Lebenszeit und doch... Wehmut schwang in meinen Gedanken mit, als meine Tante die Tür öffnete. Wie sollte ich in Zukunft meinen Unterhalt finanzieren, mein von Robert geschaufeltes geldleeres Loch auf dem Sparbuch wieder füllen? Aus dem Dispo kam ich schon seit Monaten nicht raus, und mein Sparstrumpf, kümmerlich, nein leer. Meine Erna, meinen alten klapprigen Fiat, hatte ich schon vor einem halben Jahr verkaufen müssen, und Omas feines Service wurde bei ebay versteigert. Nun war guter Rat teuer. Arbeitslosenhilfe? Wo ich es so alles andere als mit Behörden hatte, und dann noch bei meinem Lebenslauf. Ich sollte mich schleunigst auf die Suche nach einer neuen Beschäftigung begeben. Das war mir klar.
„Hallo Mädchen, na, Tee fertig?“
Leonore stand wie immer frisch gebügelt und in feinem Tweed im Türrahmen und betrachtete mich prüfend.
„Heute hab ich die zwei Termine bei Gericht, wenn ich mich recht erinnere?“
Ich nickte.
„Gut, gut...“, Leonore schritt in aufrechter Haltung zu meinem Schreibtisch, und das war der Unterschied zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Die Haltung! Ich bin da ja mehr der Krummläufer.
Sie blätterte im Terminkalender.
„Herr Welke spricht um 10 Uhr 45 vor, um 11 Uhr 30 kommt unser treuer Klient, der Herr Scheibner, ach ja, und vor dem Welke kommt der Herr von gestern um zehn Uhr vorbei. Lass ihn bitte herein.“
Ach ja, Herr Scheibner. Der Mann hatte acht Anzeigen wegen Entblößung in öffentlichen Anlagen am Laufen. Nicht vor Kindern, nein, der war Nudist, selbst bei Minus 15 Grad, ein Werber für die Nacktkultur. Einmal hatte er sich sogar in der Kanzlei vor seiner Anwältin und mir entblößt, nur um zu beweisen, dass alles an ihm, inklusive Gemächt, alles andere als anzüglich sei. Zuerst dachte ich, Tantchen bekommt den Schock ihres Lebens, aber eine Frau in dem Alter ergötzt sich eben auch gelegentlich ganz gerne mal an dem noch knackigen Körper eines 38-Jährigen. Wann bekommt sie so was schon mal zusehen?
Der Kerl ist vielleicht durchtrainiert!
„Hat Herr Scheibner etwa schon wieder eine neue Anzeige am Hals?“, wollte ich wissen.
„Ja, er zog sich auf dem Alexanderplatz vor dem Roten Rathaus aus, um für die Freiheit der Nacktheit in öffentlichen Einrichtungen zu plädieren. Allerdings hatte er sich die Nachbildung eines Feigenblattes vor sein männliches Anhängsel gehängt, und einen Efeukranz auf sein Haupt gelegt. Er war also tatsächlich nicht vollkommen entblößt. Während seiner kurzen Demonstration wurde er von einer japanischen Touristengruppe fotografiert, von einer Schulklasse, die eine Führung durchs Rote Rathaus machen wollte, ausgefeixt, von einem Stadtstreicher besungen, von einer älteren Dame mit dem Regenschirm angegriffen und schließlich von einem Journalisten der Lokalnachrichten gefilmt. Die Polizei musste ihn in Gewahrsam nehmen. Ließ ihn allerdings als guten alten Bekannten mit ausgeliehener Polizeiuniformhose wieder laufen. Doch eine erneute Anzeige blieb eben nicht aus. Außerdem will er die alte Dame mit dem Regenschirm wegen Körperverletzung verklagen.“
Ich schmunzelte, und Tantchen grunzte amüsiert und marschierte davon.
Ich stopfte mir gerade einen kleinen Keks in meinen Mund, als mir zu Bewusstsein kam, was Leonore da gesagt hatte. Der Herr von gestern, der Herr würde heute Vormittag wiederkommen?
Ich holte tief Luft. Meinte sie etwa Christoph, den Christoph, den Mann, mit dem ich gestern Nacht eine zutiefst sinnliche, erotische und zum Erröten neigende Traumsequenz hatte? Mein Herz begann zu schlagen wie der Big Ben. Alles Dunkle, Traurige der letzten Minuten, als ich mich schon in Gedanken im Armenhaus sah, wurde beiseite geschoben, und die lichte Gestalt eines Engels namens Christoph, trat auf die Innenseite meiner Stirn. Aufgeregt kaute ich auf meinem Plätzchen herum. Ich musste lächerlich ausgesehen haben in meinem erstarrten Grinsen und den Kekskrümeln, die mir aus dem Mund sabberten. In Trance spitze ich mechanisch an einem Bleistift, bis dieser von
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