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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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dem alle seine Kinder verheiratet wären und eigene Kinder hätten, den Tag, an dem er das Oberhaupt einer noch größeren Familie wäre.
    Doch leider, Abdullah und Pari, sollte die glückliche Zeit im Leben Baba Ayubs bald ein Ende nehmen.
    Eines Tages kam ein Dämon nach Maidan Sabz. Er strebte vom Gebirge auf das Dorf zu, und die Erde erbebte unter seinen Schritten. Die Dorfbewohner ließen Spaten, Hacken und Äxte fallen und ergriffen die Flucht. Sie schlossen sich in ihren Häusern ein und kauerten sich aneinander. Schließlich verstummten die ohrenbetäubend lauten Schritte des Dämons, und sein Schatten verdunkelte Maidan Sabz. Seinem Kopf, so erzählte man sich, entsprangen geschwungene Hörner, und seine Schultern und der mächtige Schwanz waren von einem groben, schwarzen Fell bedeckt. Seine Augen, so hieß es, glühten rot. Genaueres wusste niemand, jedenfalls kein Lebender, denn der Dämon fraß auf der Stelle jeden, der auch nur den Blick zu heben wagte. Die Dorfbewohner wussten dies und hielten den Blick die ganze Zeit gesenkt.
    Jeder ahnte, warum der Dämon im Dorf erschienen war. Alle hatten Geschichten über seine Heimsuchungen anderer Dörfer gehört und wunderten sich, warum er sie so lange verschont hatte. Vielleicht, dachten sie, lag es daran, dass ihre Kinder aufgrund des ärmlichen und mühseligen Alltags so mager waren. Nun hatte sie das Glück jedoch im Stich gelassen.
    Ganz Maidan Sabz erzitterte und hielt den Atem an. Alle Familien beteten darum, dass der Dämon ihr Haus verschonen möge, denn sie wussten, dass sie ihm ein Kind geben mussten, wenn er an das Dach klopfte. Der Dämon würde das Kind in einen Sack stecken und sich diesen über die Schulter werfen und auf jenem Weg verschwinden, auf dem er gekommen war. Niemand würde das arme Kind je wiedersehen. Und wenn sich eine Familie weigerte, nahm der Dämon einfach alle Kinder mit.
    Und wohin brachte der Dämon die Kinder? In seine Burg, die auf dem Gipfel eines hohen Berges stand. Diese Burg war sehr weit von Maidan Sabz entfernt. Man musste Täler, mehrere Wüsten und zwei Gebirgszüge überwinden, bevor man sie erreichte, und wer wollte diese Strapazen auf sich nehmen, nur um in den sicheren Tod zu gehen? Angeblich gab es in dieser Burg unzählige Verließe, an deren Wänden Hackebeile hingen. Fleischhaken baumelten von der Decke. Man munkelte von riesigen Bratspießen und Feuerstellen. Es hieß, der Dämon würde seine Abneigung gegen das Fleisch Erwachsener vergessen, wenn ihm ein Eindringling über den Weg lief.
    Ihr ahnt sicher, in welchem Haus das gefürchtete Klopfen des Dämons ertönte. Baba Ayub entrang sich bei dem Geräusch ein gequälter Schrei, und seine Frau wurde ohnmächtig. Die Kinder weinten vor Entsetzen und aus Sorge, weil sie wussten, dass sie jetzt einen Bruder oder eine Schwester verlieren würden. Die Familie hatte eine Frist bis zum nächsten Morgen – dann musste das Opfer dargebracht werden.
    Wie soll ich die Qualen schildern, die Baba Ayub und seine Frau während dieser Nacht durchlitten? Eltern dürften nicht vor so eine Wahl gestellt werden. Baba Ayub und seine Frau beratschlagten außer Hörweite ihrer Kinder, was zu tun war. Sie redeten und weinten, redeten und weinten. Sie beratschlagten die ganze Nacht, doch als der Morgen graute, hatten sie noch immer keine Entscheidung getroffen – und vielleicht hatte der Dämon genau dies im Sinn, weil er so alle fünf Kinder mitnehmen konnte. Schließlich las Baba Ayub draußen vor dem Haus fünf gleich große und gleich geformte Steine auf. Auf jeden schrieb er den Namen eines Kindes und warf sie dann in einen Jutesack. Seine Frau zuckte zurück wie vor einer Giftschlange, als er ihr den Sack hinhielt.
    »Unmöglich«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich kann diese Wahl nicht treffen. Das wäre zu schrecklich.«
    »Ich vermag es auch nicht«, sagte Baba Ayub, aber da sah er durch das Fenster, dass die Sonne gleich über den Bergen aufgehen würde. Die Zeit lief ihm davon. Bedrückt musterte er seine fünf Kinder. Ein Finger musste abgehackt werden, um die Hand zu retten. Er schloss die Augen und holte einen Stein aus dem Sack. Ihr ahnt sicher, welcher Name auf dem Stein stand. Als Baba Ayub ihn sah, warf er den Kopf in den Nacken und schluchzte. Er nahm seinen jüngsten Sohn mit gebrochenem Herzen in die Arme, und Qais, der seinem Vater blind vertraute, schlang seine Ärmchen fröhlich um Baba Ayubs Hals. Er merkte erst, dass etwas nicht stimmte, als die Tür

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