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Traumsammler: Roman (German Edition)

Traumsammler: Roman (German Edition)

Titel: Traumsammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Stunde oder länger und sah zu den Sternen und zu den am Mond vorbeiziehenden Wolken auf. Er dachte über sein langes Leben nach und war dankbar für all die Freude und Fülle, die ihm zuteilgeworden waren. Er wusste, dass es vermessen gewesen wäre, noch mehr zu verlangen oder noch größere Wünsche zu hegen. Er seufzte glücklich, lauschte dem Ruf der Nachtvögel und dem vom Gebirge kommenden Wind.
    Gelegentlich meinte er, noch etwas anderes zu hören – das zarte Bimmeln eines Glöckchens. Er begriff nicht, woher dieser Ton kam, denn es war tiefe Nacht, und alle Schafe und Ziegen ruhten. Manchmal redete er sich ein, dass es nur Einbildung war, und manchmal rief er ins Dunkel: »Ist dort jemand? Wer da? Zeig dich.« Doch er erhielt nie eine Antwort. Baba Ayub fand das unbegreiflich. Und er begriff genauso wenig, warum er bei diesem Bimmeln immer das Gefühl hatte, eine Welle ginge durch ihn hindurch, ein Gefühl, das ihn jedes Mal von neuem überraschte – wie das Ende eines traurigen Traums, wie ein unerwarteter Windhauch. Aber dann verging es wieder, wie alle Dinge vergehen. Es verging. 
    Das ist alles, mein Junge. Das ist das Ende der Geschichte. Und nun ist es spät, und ich bin müde, und deine Schwester und ich müssen in aller Frühe aufstehen. Puste deine Kerze aus. Leg dich hin und schließ die Augen. Schlaf gut, mein Junge. Wir nehmen morgen früh Abschied voneinander.

Zwei
    Vater hatte noch nie die Hand gegen Abdullah erhoben. Als er dies schließlich doch tat, als er ihm aus heiterem Himmel eine schallende Ohrfeige gab, war Abdullah so verdutzt, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Er drängte sie mit einem Blinzeln zurück.
    »Ab nach Hause mit dir«, knurrte sein Vater mit zusammengebissenen Zähnen.
    Abdullah hörte, wie Pari laut schluchzte.
    Sein Vater schlug ihn noch einmal, jetzt auf die linke Wange, und der Schlag war noch heftiger. Abdullahs Kopf wurde zur Seite gerissen. Sein Gesicht brannte, und er konnte die Tränen nicht zurückhalten. Sein linkes Ohr pfiff. Dann beugte sich sein Vater zu ihm herunter, sein Gesicht so nah an Abdullahs, dass dieser Wüste, Gebirge und Himmel nicht mehr sah.
    »Hast du nicht gehört, Junge? Ab nach Hause«, sagte der Vater mit gequälter Miene.
    Abdullah gab keinen Laut von sich. Er schluckte schwer und sah blinzelnd zu seinem Vater auf, zum Schutz vor der Sonne eine Hand auf die Stirn gelegt.
    Pari, die auf dem kleinen, roten Karren saß, rief mit hoher, angstbebender Stimme: »Abollah!«
    Vater musterte ihn zornig, dann kehrte er zum Karren zurück. Pari streckte die Hände nach Abdullah aus. Dieser wartete, bis der Karren sich in Bewegung setzte, dann wischte er die Tränen mit dem Handrücken weg und folgte den beiden.
    Kurz darauf warf sein Vater einen Stein nach ihm. So wurde Paris Hund Shuja von den Kindern in Shadbagh beworfen – mit dem Unterschied, dass sie Shuja treffen und verletzen wollten. Der Wurf seines Vaters war harmlos, der Stein landete einige Schritte von ihm entfernt. Abdullah blieb stehen, und als sein Vater mit Pari weiterfuhr, trottete er weiter.
    Schließlich, die Sonne hatte gerade den Zenith überschritten, hielt sein Vater wieder an. Er drehte sich zu Abdullah um, betrachtete ihn nachdenklich und winkte ihn zu sich.
    »Du bist ein Dickkopf«, sagte er.
    Pari ließ ihre Hand rasch in die Abdullahs gleiten. Sie sah aus verweinten Augen zu ihm auf, und als sie lächelte, kamen ihre Zahnlücken zum Vorschein. Solange ihr Bruder bei ihr war, wollte sie damit offenbar sagen, konnte ihr nichts Böses geschehen. Abdullah umschloss ihre Finger mit seiner Hand, wie er es abends immer tat, wenn er im Bett so dicht neben seiner Schwester lag, dass ihre Köpfe und Beine einander berührten.
    »Du solltest zu Hause bleiben«, sagte sein Vater. »Bei deiner Mutter und Iqbal. Wie von mir befohlen.«
    Abdullah dachte: Sie ist deine Frau. Meine Mutter haben wir zu Grabe getragen. Doch er schluckte die Worte hinunter.
    »Na, gut. Komm mit«, sagte sein Vater. »Aber wehe, du weinst. Hast du mich verstanden?«
    »Ja.«
    »Ich warne dich: Kein Geheule.«
    Pari grinste Abdullah an, und dieser senkte den Blick auf ihre blassbraunen Augen und runden, rosigen Wangen und musste ebenfalls grinsen.
    Also lief er neben dem Karren her, der über den holperigen Wüstenboden rumpelte, und hielt Paris Hand. Bruder und Schwester tauschten verstohlene, glückliche Blicke, sprachen aber kaum ein Wort, um ihren Vater nicht zu erzürnen und dadurch alles zu

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