Traumtrunken
dass er reif für die Schule war. Sein Deutsch wurde zunehmend besser und außerdem freute er sich doch so darauf.
Dass es noch nicht sicher war, davon hatte Michaela ihm lieber gar nichts erzählt. Das erfuhr er dann noch früh genug.
***
Wenn Atze nicht da war, durfte Rico bei Michaela schlafen.
Gegen halb acht schickte sie ihn ins Bad. „Und, was für eine Geschichte soll ich dir heute erzählen?“, fragte sie ihn.
Rico überlegte. „Von einem König“, sagte er dann. „Von einem König, der keine Kinder hat und deshalb immer König bleiben muss!“
Michaela staunte über Ricos Fantasie.
Der König könnte sich ein Kind adoptieren, aber das war zu modern.
Er könnte sich eine junge Königin suchen.
Zu einfach! Michaela wischte die Idee mit einem Wink davon, ging ins Schlafzimmer hinüber und setzte sich auf das Bett.
Heute wollte ihr keine passende Geschichte einfallen. Sie war viel zu kribbelig und musste sich immer wieder Mühe geben, um sich konzentrieren zu können.
Genau! Der König hatte einen Neffen und eine Nichte. Und obwohl die Nichte klüger und überlegter war, der Neffe aber unehrlich und sehr verspielt. Obwohl seine Eltern den König sogar davon abbringen wollten, bat der König seinen Neffen, sein Amt zu übernehmen.
Michaela wunderte sich. Das war doch gemein. Aber das waren Märchen immer.
Sie legte die Hand auf ihren Unterbauch. Was würde sie wohl bekommen?
Rico kam aus dem Bad.
Sie klappte die Bettdecke auf und ließ ihn hineinschlüpfen. Zärtlich strich sie ihm die Haare aus der Stirn und küsste ihn darauf.
Dann erzählte sie ihm die Geschichte.
Rico war kein bisschen unzufrieden. Er drehte sich auf die Seite und Michaela beugte sich zu ihm nach unten.
„Ich hab noch eine Überraschung für dich!“
Rico sah sie erwartungsvoll an.
Michaelas Mundwinkel hüpften. Dann sprudelten die Worte aus ihr heraus. „Du bekommst ein Geschwisterchen!“
„Ein Geschwisterchen?“ Rico zog die Stirn in Falten. Er sah nachdenklich aus, doch unter seinen Zweifeln lugte ein Lächeln hervor. „So ein Geschwisterchen wie Paula eins hat?“
„Nicht so groß erst mal, aber ...“
Michaela liefen die Tränen. „Ja, so ein Geschwisterchen wie Paula.“
„Dann nehm ich einen Bruder!“
Michaela musste lachen und wischte sich mit dem Handrücken das Gesicht trocken. „Das kann man sich nicht aussuchen, Rico.“
„Schade.“ Er verzog den Mund. Doch gleich darauf war er wieder glücklich. „Mit Gelbling und dem Baby sind wir dann eine richtig große Familie.“
„Ja. Und jetzt musst du schlafen, kleiner Mann!“ Ein flüchtiger Kuss auf Ricos Wange, dann stand sie auf, ließ den Rollladen ein Stück weiter nach unten und verließ das Schlafzimmer.
9 Kerzen
gleich muss er kommen,
das Glück stolpert schon.
Er nimmt mich mit in eine andere Welt.
Alles ist gut.
Wenn er bei mir ist.
***
Mit jedem Tag mehr an Gewissheit wuchs Michaela über sich hinaus. Die Erwartung ihres Babys machte sie stolz und selbstbewusst.
Ohne zu zögern hatte sie beschlossen, sich bei einem Geburtsvorbereitungskurs anzumelden.
Doch als sie am Donnerstagnachmittag dort ankam, hatte ihr die Dame in der alten Villa nur ein paar Zettel in die Hand gedrückt und gesagt, dass sie noch zu früh dran ist. „Man sieht ja noch gar nichts.“
Sie könne sich ja schon mal überlegen, ob sie mit ihrem Mann kommen will. Das würden die meisten nämlich machen. Und für die, die allein kämen, gab es eine andere Gruppe.
Michaela hatte nur genickt. Die Dame hörte gar nicht wieder auf zu reden und erschlug sie fast mit ihren Gebärden.
Michaela war müde, als sie nach Hause kam. Sie stellte den schweren Einkaufskorb auf dem Küchenschrank ab und begann gerade mit dem Ausräumen, als ihr Blick auf den Kalender fiel. Nächste Woche war schon Juli, sie durfte den Geburtstag von Oma Elvi nicht vergessen.
Sie verstaute die zwei Packungen Milch im Kühlschrank und blätterte den Kalender um. Es war ein Samstag. Sie überlegte.
Ob sie Atze mitnehmen sollte? Bisher war es immer etwas ganz Persönliches gewesen. Etwas zwischen Oma Elvi und ihr, was keinen etwas anging.
Doch neuerdings war es anders. Sie konnte diese Momente mit Atze teilen.
War das Liebe? Oder war sie erwachsen geworden?
Sie stellte den leeren Korb hinter den Vorhang im Flur und ging auf den Balkon. Es war angenehm mild draußen. Gelbling saß aufgeplustert auf seiner Stange und hatte den Schnabel ins Gefieder
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