Traumtrunken
wieder kamen Leute aus der Bank oder liefen hinein.
„Das war eine schreckliche Geschichte. Die könnte Ihnen Michaelas Onkel eigentlich viel besser erzählen.“
Atze hörte ihr Seufzen.
„Zu dem Zeitpunkt war Michaelas Mutter schon in der psychiatrischen Tagesklinik und Michaela bei uns in der Tagesgruppe. Wenn wir gewusst hätten ...“
Atze schluckte. Er nahm die Leute, die vor ihm hin- und herliefen jetzt nicht mehr wahr. Er steckte tief in Michaela.
„Herr Schuhberg?“, drang es aus dem Telefon.
Sein „Ja“ klang kläglich.
„Michaela kam dann natürlich sofort zu uns. Sie müssen wissen …. Wenn wir das geahnt hätten, hätten wir natürlich früher reagiert.“ Frau Gehlbach sprach schnell. „Aber wir wollten der Mutter eine Chance geben. Es sah sehr hoffnungsvoll aus. Zu Anfang.
Zwei Monate später ist dann Michaelas Großmutter gestorben“, setzte sie nach.
Atze musste sich Mühe geben, damit er sich noch von Frau Gehlbach verabschieden konnte. Die Worte steckten in seiner Kehle wie festgezurrt.
Er drückte den Hörer, behielt das Handy in der Hand und lief schnell weiter. Lief vor seinen Tränen davon.
***
Michaela rannte vom Bus in die Gärtnerei.
Sie war aufgebracht. Ängstlich.
„Kann ich Atze anrufen?“, rief sie Doris schon entgegen, kaum, dass sie die Tür geöffnet hatte.
Doris hob den Kopf. „Ist was passiert? Du bist spät!“ Sie starrte Michaela an.
„Ich hab Atze gesehen. Eben. Er verheimlicht was vor mir. Er ist heute aus dem Haus wie immer. Er hätte längst unterwegs sein müssen!“
„Beruhig dich! Michaela!“ Doris nahm sie bei den Schultern, führte sie im Büro um den Schreibtisch herum und drückte sie auf den Stuhl. „Vielleicht hast du ihn verwechselt?“
„Verwechselt?“ Michaela starrte Doris an. „Ich hab sogar überlegt,“, sagte sie, als sie wieder besser Luft bekam, „an der nächsten Haltestelle auszusteigen und ihm hinterher zu rennen. Aber er war schon zu weit weg.“ Michaela verzog das Gesicht. „Was, wenn er eine Freundin hat?“
„Atze hat sicher keine Freundin!“, sagte Doris und drehte ihr Gesicht von Michaela weg.
„Warum verteidigst du ihn? Du kennst ihn doch gar nicht!“ Michaela sah Doris prüfend an.
„Er hat mich angelogen“, fügte sie dann leise hinzu und blickte nach unten auf ihre Finger, die die Handtasche hielten.
Darin steckte Atzes Handynummer. Sie trug sie immer bei sich. Für alle Fälle. Nie hatte sie sie gebraucht. Und jetzt das!
Sie riss am Reißverschluss, der sich weigerte aufzugehen.
Mit zittrigen Händen hielt sie Doris den Zettel hin.
***
Atze war noch nicht losgefahren, als sein Handy klingelte. Es war Michaela. Atze merkte, wie er rot wurde.
Das einzige, was ihm spontan auf Michaelas Frage einfiel, war: „Warum warst du so spät noch nicht in der Gärtnerei?“
Er ärgerte sich über sich selbst. Warum versuchte man in brenzligen Situationen immer, die Schuld auf andere zu lenken? Sie hatte ihn gesehen. Er hatte ihr nicht die Wahrheit gesagt und nun war es passiert.
„Michaela. Es tut mir leid. Ich hab nur .... Ich bin ....
Bei Frau Gehlbach bin ich gewesen!“ Jetzt war es raus. Er war wütend, aber die Wahrheit war jetzt das Beste.
„Bei Frau Gehlbach?“ Michaela klang überrascht. Dann hörte er nichts mehr von ihr.
Atze wurde unruhig. Er sah zur Uhr. Gleich musste er fahren und würde erst Freitag wiederkommen. Verdammt!
Ach, auf die zwei Stunden kam es jetzt auch nicht mehr an. Er musste es Michaela erklären. Er wollte es ihr erklären. Am liebsten wäre es ihm jetzt gewesen, er hätte vorher mit ihr darüber gesprochen.
„Michaela?“
„Ja?“ Leise drang ihre Stimme an sein Ohr.
„Michi, ich komm zu dir!“
Dann legte er auf, schmiss das Handy auf den Beifahrersitz und drehte am Zündschlüssel.
***
Michaela saß neben Atze und sah immer wieder zu ihm hinüber. Sie holperten über die Pflasterstraße. Atze fuhr den Bogen zurück zur Hauptstraße und hielt vor dem kleinen Café.
Michaela glaubte nicht, dass er hier parken durfte, aber es war ihr jetzt egal.
Atze schaltete den Motor aus und drehte sich zu ihr hinüber. Er hielt erst ihre Hände, dann drückte er sie fest und Michaela ließ es sich gefallen. Sie wusste nicht, was sie fühlen sollte. Angst? Wut? Oder doch Liebe?
Atze hatte sich im Heim über sie erkundigt, das konnte sie sich mittlerweile denken. Aber über was zum Teufel hatten sie geredet?
Als er sie losließ, bemerkte sie seine
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