Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
Vom Netzwerk:
immerfort nassen Füße.

 
    85 Das Telefon seufzte und spielte dann den Anfang des Hits der beiden Damen Baccara Yes Sir, I can boogie – am anderen Ende war Passow, der mich zu einer Trauerfeier einlud.
    Für wen oder was, fragte ich. Verfluchte Außenwelt.
    Olgas Hund sei im Eimer, sagte Passow aufgeräumt, also hinüber, tot, im Arsch, kurz: hin – und er müsse den Trauertext für die Hinterbliebenen verfassen, in diesem Fall für Olga und für den toten Hund, und ob ich ihm mit ein paar Stichworten aushelfen könne; bezahlte ich ihm das Taxi, komme er gern vorbei.
    Bleib, wo du bist, sagte ich; tote Hunde gehörten nicht zu meiner Praxis.
    Passow hörte nicht zu.
    Olga, sagte er, will’s irgendwie religiös, ich nicht.
    Der Hund, so erfuhr ich, hatte im Keller Rattengift gefressen, seine Agonie habe vier Stunden gedauert.
    Warum hast du keinen Tierarzt gerufen, fragte ich, und das arme Schwein einschläfern lassen?
    Wegen Olga, sagte Passow, weil sie sagte, der wird noch, vitales Tier.
    Der Köter tat mir leid. Mein gutes Herz siegte.
    Du bist schon an der Arbeit, nehme ich an, also mitten in deiner Laudatio funebris –, das ist schön. Dann lies mal vor, was du hast …
    Passow las: Seele von Hund, geistiger Liebreiz, dem Nächsten zugetan wie sich selbst, aufopferungsvolle Liebe. Wir sitzen jetzt an seinem Lager – er ruht unter einem Seidenshawl in seinem Lieblingskorb, und wir, wir weinen.
    Tatsächlich brachte mein alter Schmarotzer ein stilisiertes Schluchzen zustande.
    Nicht viel, was dir eingefallen ist, sagte ich, hör zu und referiere dann kurz – wie sah es mit seiner Vita aus – willst du einen halbwegs guten Nekrolog, muss die Vita einen solennen Lebenslauf enthalten, der dem Seligen würdig ist.
    Wer ist selig?, fragte Passow und schnüffelte.
    Der tote Köter, sagte ich.
    Was heißt ‹solennen›, fragte Passow.
    Feierlich, sagte ich, enthoben irgendwie – was seine Eigenschaften betrifft –, muss den Tatsachen nicht entsprechen, wie bei keiner Trauerfeier auf dieser Welt. Biss er zum Beispiel Leute?
    Wenn er sie kannte, sagte Passow, dann nicht, da er die meisten Leute in seiner Umgebung – also Olgas Freunde aus der Kultur – nicht kannte, unterlief ihm mitunter ein kleiner Fehler. Danach war er stets schuldbewusst und ließ die Rute hängen.
    Ein schöner Zug vom Hund, sagte ich. Wie hieß er?
    Anton, sagte Passow, weil meine Olga den Cechov so liebt.
    Soso, sagte ich, Anton. Das sei ein glanzvoller Name, sehe man von der Grammatik ab – nämlich dem Homonym, dem Synonym und dem Antonym.
    Was du nicht sagst, erwiderte der verstörte Passow.
    Die Unterhaltung machte mir mehr und mehr Vergnügen.
    Es ist immer erfreulich, wenn man Freunden in dummen Situationen helfen kann. Das Helfer-Syndrom wird zu Unrecht verachtet.
    Ich sagte zu Passow, ich müsse mehr über Anton wissen … Leben, geistige Eigenschaften, Familiensinn, Gesinnung, Charakter, das Liebesleben, seinen Glauben, sein Verhältnis zu Werten und –
    Mit Glauben könne er dienen, sagte Passow erfreulich kurz, – wie Olga, russisch-orthodox.
    Das bringt uns nicht weiter, sagte ich, lassen wir das Religiöse da, wo es hingehört. Könnte man sagen, Anton sei ein ethisch oder moralisch hochstehender Hund gewesen?
    Nicht direkt, sagte Passow nervös, aber er habe immer – und das nach jedem Biss – ein schlechtes Gewissen gehabt.
    Das ist viel, sagte ich, das ist schon beinahe alles. Was soll auf dem Grabstein stehen?
    ‹Hier ruht mein Anton, der die Welt liebte›, sagte Passow.
    Ein hübscher Grabspruch. Bestimmt nicht von Passow.
    Mir fiel ein Nekrolog ein, den einst der kummervolle Tierfreund Edward auf ein schwarznasiges Schaf namens Cordelia gehalten hatte, ein sanftmütiges, frommes Geschöpf, von dem Edward in seiner Predigt sagte –:
    ‹Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass mein
    seliger Liebling Gott schaute, während er wiederkäute.›
    Du fängst folgendermaßen an, sagte ich zu Passow, mit einem Gebet und einer Hymne mit dem Titel – die Noten schicke ich dir per Post – Jesus, tender shepherd, hear me –
    Kann kein Englisch, sagte Passow beleidigt, mach’s auf Deutsch –.
    Einfach, sagte ich – Jesus, zärtlicher Schafhirt, höre mich –
    An wen sich das richte, fragte Passow.
    An alle, sagte ich. Pass auf, Passow. Eine andere Hymne wäre auch passend, vielleicht hundegerechter: Hark! Hark, my soul! Angelic songs swelling.
    Gefällt mir gut, sagte Passow befriedigt, die herrlichen

Weitere Kostenlose Bücher