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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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uns auf eine trockene Landzunge – zwei Stühle, unter uns ein grauer Fluss auf Plastik. Ich war ratlos und das Bier zu warm. Ulrike hatte mit ihrem kräftigen Fransenschnabel irgendein Kabel des Kühlschranks lahmgelegt.
    An einer Stelle, sagte Blunz traurig, habe der große Goethe einmal geschrieben, Tiere seien nur Zerrbilder der Menschen.
    Das sei nicht ganz unklug reflektiert, sagte ich, aber wenn man die Tiere lieben solle in all ihren Gestalten und Metamorphosen, sähe die Sache schon anders aus.
    Da hätte ich recht, sagte Blunz. Er persönlich habe sie in sein Heim gebracht als urweltliche Relikte einer verschollenen Welt. – Die vielen potentiellen Metamorphosen habe die Fransenschildkröte eben verweigert, und deshalb hänge sein Herz an ihnen, nunmehr aber sei es zu viel.
    Er sagte ‹zuvühl›; es klang wie ein Seufzer. Eine Schildkröte schlurfte mit einem eindrucksvoll rötlich-blau gebuckelten Panzer heran, ein Auge lebhaft auf Blunz gerichtet.
    Das ist Ulrike, sagte er, die sich hemmungslos August hingab.
    Eine rechte Familien-Tragödie, sagte ich. Denke, das Humane kam nicht zu kurz. Noch immer ratlos, wie ich meinen Notizen entnehme.
    Naht ihr euch wieder, schwankende Gestalten, sagte ich zur Kröte, die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt …
    Gut gesagt, rief Blunz und warf belebt meine Flasche Bier vom Tisch, komme ihm irgendwie bekannt vor.
    Ulrike streckte ihre Lederzunge aus dem Maul und labte sich am Bier.
    Mein Rücken, sagte Blunz, ist kaputt; ich kann sie nicht mehr baden – der Nachwuchs von Lotte und Riemer kriegt gerade Junge, will sagen: 15 Eier sind schon deponiert! – Ich muss weichen … ich habe keinen Platz für meine Existenz … die ewigen Wasserschäden übersteigen meine Mittel, wie die Gesamtpopulation.
    Blunz schleppte mit viel Tremor eine Flasche Cognac und zwei Gläser aus einem offenbar noch nicht okkupierten Raum und hielt einen kleinen Monolog.
    Das Schlimmste ist, dass diese lieben Tierchen 50 Jahre alt werden. Ich bin jetzt 82 und nicht mehr gesund… Der Tod rückt näher … Die Grube … Die Gruft, na eben das alles … Heilen Sie bitte meine Rückenschmerzen. Die Chelus fimbriatus kann nicht klettern. Hätte sie eine Metamorphose durchgemacht, könnte sie. Ich fühle mich bedrängt. Nehmen Sie noch einen Cognac. Ich vergaß Raum und Zeit der Gegenwart, falscher Genitiv –? Pardon, ist der Kohl noch Kanzler?
    Ich musste bestätigen.
    Blunz versank in seinem Monolog, dem ich gern lauschte. Fatalitäten dieser kostbaren Art hört man selten.
    Die lieben Dinger fressen leider keinen Kohl, sonst wären die Futterkosten nicht so hoch – wo war ich, ja! –, Sie werden mich alle überleben, und das ist schwer erträglich. Subjektiv, meine ich, vielleicht eine sentimentale Marotte. Habe alle meine Bedenken, die Liebe, das Wasser, das Futter, die Kosten mundiert. Es geht nicht mehr. Denke an Brand. Wäre wegen Feuerwehr ein Wasserschaden, aber ist das eine Lösung? Sie alle hier werden 50 Jahre alt. Sind Wolfgang und Christiane 50, bin ich nicht mehr, von den nachfahrenden Generationen abgesehen, die die beiden Ur-Eltern werden überleben. Es ist ein Dilemma.
    Der ingeniöse Passow wäre auf Schildkrötensuppe gekommen, in mir weste Mitgefühl, günstig gemixt mit Pragmatismus.
    Prof. Blunz, sagte ich, hören Sie. Nichts als Zeitverderb ist die Liebe, das sagte Goethe im Götz der ersten Fassung –
    Eine große Schildkröte betrat das Proszenium, kroch zu den Pantoffeln von Blunz und entließ einen grünen Wurm aus ihrer Kloake.
    Das war Eckermann, sagte Blunz, der entlaste sich gern in menschlicher Gesellschaft, kriecht dann unter mein Bett und schnarcht voller Gefühl.
    Das war mein Stichwort. Gefühl sei nicht alles (keine Ahnung, ob nun Goethe, Eckermann, Riemer oder John. Jedenfalls passte es in die therapeutische Situation des Anfängers) – Man müsse dieses unglückliche Passepartout (die Flasche Cognac war beinahe leer) rigoros ändern, ja, einer Metamorphose unterziehen. Unparteiische Gerechtigkeit geböte, sagte ich streng (Eckermann am 24. März 1825), die lieblichen Tiere zu verkaufen. Dann seien alle Wasserschäden, Futterkosten und Sentimentalitäten gedeckt.
    Blunz ergriff meine feuchten Hände.
    Eine humane Lösung, sagte er, danke – wissen’S, in schwachen Augenblicken hab ich schon an Schildkrötensuppe gedacht – wär aber zuviel Publikum gewesen, na! Und jetzt geben Sie mir noch ein Mittel gegen die leidige Klaustrophobie und die

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